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Landeshauptstadt: Das verbotene Städtchen

Wie Lehrerstudenten die Juristische Hochschule der Staatsicherheit in Besitz nahmen

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Am 9. März 1990 öffneten sich erstmals die Tore zum Gelände der Juristischen Hochschule in Golm. Denn ab dem 16. Juni 1951, als das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in den aus der Nazizeit stammenden Kasernen die Ausbildung von Führungskräften begann, war das Areal ein „verbotenes Städtchen“. Nach der Wende wurde der Komplex Anfang 1990 der Pädagogischen Hochschule (PH) übertragen, die ihn nun der Öffentlichkeit öffnete. Die Lehrkräfte der Stasi-Hochschule mit Rektor Willi Opitz waren schon Ende Januar entlassen worden.

Der Rundgang verursachte müde Füße, denn für jährlich etwa 150 immatrikulierte Direkt- und 200 Fernstudenten standen nicht weniger als 25 Gebäude zur Verfügung. Alle waren nach modernstem DDR-Standard ausgestattet. So konnten die Lehrkräfte, Studenten, Wachmannschaften und Zivilangestellte fünf Hörsäle, 21 Seminarräume, Computer- und Fremdsprachenkabinette, eine Turnhalle, 781 Plätze in den fünf Internaten sowie eine Bibliothek mit 120 000 Bänden nutzen. Zur Infrastruktur zählten eine hochmoderne Telefonanlage, ein dann an die Kripo übergebenes kriminaltechnisches Labor und ein mit Werkstatt und Waschanlage ausgerüsteter Fahrzeugpark, dessen Busse nun für eine Studentenlinie eingesetzt wurden.

Die von der Stasi geschaffene abgeschottete Kleinstadt hatte außerdem den Zweck, die Kontakte zur Golmer Bevölkerung nicht allzu eng werden zu lassen. Dennoch drängte es manchen Stasi-Studenten oder -wachmann in die Dorfkneipen, besonders den „Thomas Müntzer“ am Standort des heutigen Landhotels Potsdam. Dabei blieb Streit nicht aus. Aufsehen erregte die Verhaftung des Potsdamer Stadtgeschichtlers Hermann Fellien, der sich 1961 kritisch zum Mauerbau und zum „FDJ-Aufgebot“ für den Dienst in der Nationalen Volksarmee geäußert hatte. Er war denunziert worden und wurde zwei Jahre im Stasi-Gefängnis Berlin-Lichtenberg eingesperrt. Dorfbewohner drückten ihre Solidarität mit ihm aus, in dem sie der zurückgebliebenen Ehefrau nachts heimlich ein frisch geschlachtetes Huhn oder Beutel mit Süßigkeiten an die Haustürklinke hängten.

Von diesen Hintergründen wussten die fast 800 PH-Studenten nichts, die im März 1990 die Gebäude der Juristischen Hochschule in Besitz genommen hatten. Erfrischend unbekümmert nutzten die angehenden Lehrer die Büros der Stasi-Offiziere, und in den zuvor strengstens bewachten Waffenkammern waren Kontrabass und Tuba abgestellt. Die Studenten bevölkerten sowohl die Neubauten aus der DDR-Zeit wie auch das in den 1930er Jahren entstandene Zentralgebäude (Haus 5) mit dem vornehm gestalteten Foyer („Kaiserhalle“), großem Saal und Bühne. Von einem Nebenraum, der ein mit Spiegelglas ausgestatteten Fenster besaß, soll Minister Erich Mielke die Vorlesungen beobachtet haben. Auch der russische Oberst Rudolf Abel erhielt an diesem Ort die Ehrendoktorwürde der Hochschule. Er war am 10. Februar 1962 auf der Glienicker Brücke gegen den amerikanischen Spionagepiloten Francis Gary Powers ausgetauscht und anschließend in Golm begrüßt worden. E. Hohenstein

E. HohensteinD

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