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Landeshauptstadt: Das zweite Opfer

Neben Christian Hepner wurde 1945 in der Breiten Straße 9 auch Klaus Gerlach erschossen

Stand:

Innenstadt - Christian Hepner ist die Aufnahme der brennenden Waisenhauskuppel zu verdanken – und damit eines der ganz wenigen fotografischen Zeugnisse über die Beschießung der Potsdamer Innenstadt in den letzten Apriltagen des Jahres 1945. Der 17-Jährige war nach dem Einmarsch der Roten Armee in der Breiten Straße 9, dem ehemaligen Sitz des Waisenhaus-Kommandanten, tot aufgefunden worden, dazu ein gleichaltriger Junge. Russische Soldaten hatten die beiden wahrscheinlich für Mitglieder des Wehrwolfs, einer NS-Partisanenorganisation, gehalten und kurzerhand erschossen.

Diese dunkle Geschichte wurde nach mehr als 60 Jahren mit Hilfe des Stadthistorikers Hartmut Knitter in dieser Zeitung erstmals öffentlich gemacht (Ausgabe vom 23. Mai 2006). Der Beitrag fiel während eines Potsdam-Besuchs auch Eva-Brigitte Steinbrück auf, die heute in Rhauderfehn (Niedersachsen) lebt. Sie ist eine Tochter des Stadtoberinspektors Walther Jachmann, der das Potsdamer Kulturamt leitete. Jachmann hat 1957 die (unveröffentlichten) „Erinnerungen eines Potsdamers“ geschrieben, aus denen die nachfolgenden Zitate stammen.

Die Familie wohnte wie die Hepners seit 1934 im Ständehaus Breite Straße 10/11. Sie nutzte das erste, Maria Hepner mit ihren Kindern das oberste Geschoss. Beide Parteien lebten in enger, freundschaftlicher Nachbarschaft. Deshalb stehen Eva Steinbrück noch heute die tragischen Ereignisse am Kriegsende vor Augen. Christian Hepner, dessen nach England emigrierter Vater Jude war, wurde wie seiner Schwester Franzi der weitere Schulbesuch untersagt. Franzi folgte ihrem späteren Ehemann Björn Hermond nach Schweden, Christian wurde auf einem thüringischen Militärflugplatz in einem Arbeitslager interniert. Nur die ältere Schwester Eva hatte ihr Abitur im Victoria-Gymnasium noch absolvieren können.

Kurz vor Kriegsende tauchte Christian überraschend wieder in Potsdam auf und brachte jenen Freund mit, der dann wie er von den Russen erschossen wurde. Dank Eva-Brigitte Steinbrück ist dessen Name nun bekannt: Klaus Gerlach. Über seine Herkunft und seine Familie machte er keine Angaben. Mehr über ihn hat sicher Evas Schwester Dorothea Jachmann gewusst: Klaus Gerlach wurde ihre erste und einzige große Liebe. Das Foto, das er ihr schenkte, stand noch auf ihrem Nachttisch, als sie im Februar dieses Jahres 78-jährig verstarb.

Jachmanns hatten nach dem Bombenangriff vom 14. April 1945 in Glindow Zuflucht gefunden. Das versuchte auch Maria Hepner, wurde aber abgewiesen. Sie kehrte über die wenig später gesprengte Strengbrücke nach Potsdam zurück. Zwischen Dorothea Jachmann und Klaus Gerlach gab es eine „herzzerreißende Abschiedsszene“, erinnert sich ihre Schwester. „Bald erfuhren wir, welche erschütternden Tragödien sich während unserer Abwesenheit zugetragen hatten“, heißt es im Lebensbericht des Vaters. „Frau Hepner fanden wir allein vor. Ihr Sohn und sein Freund Klaus waren von den Russen erschossen worden. Ihre vorläufige Grabstätte befand sich in einem Garten unweit unseres Hauses. Frau Hepner hatte die beiden Jungen dort eigenhändig begraben müssen, weil sich sonst niemand um Tote kümmerte.“ Eva-Brigitte Steinbrück hat Christian und Klaus als mutige und tatkräftige junge Männer kennen gelernt: „Wenn nach Bombardierung und Beschuss in den Nachbarhäusern immer wieder Brände ausbrachen, zogen sie los, um die Flammen mit feuchten Decken auszuschlagen. Auch im Haus Nr. 9, wo sie dann von den Russen erschossen wurden.“ Am 19. Dezember 1945 wurden die beiden auf den Neuen Friedhof umgebettet. Ihre Gräber konnten später nicht mehr aufgefunden werden.

Ebenso wie Hartmut Knitter, der mit Maria Hepner im Potsdam-Museum zusammenarbeitete, bringt Eva-Brigitte Steinbrück der leidgeprüften Frau noch heute hohe Wertschätzung entgegen. Als sich nach Kriegsende die drei Jachmann-Töchter vor russischen Soldaten verstecken mussten, um nicht vergewaltigt zu werden, fanden sie in der Hepnerschen Wohnung Zuflucht, die „größere Sicherheit bot () Frau Hepner lud uns ein, in ihrer Wohnung zu übernachten. Die Betten der beiden ums Leben gekommenen Jungen standen ja zur Verfügung. Wir nahmen das Angebot dankend an. Schlaf fanden wir allerdings wenig.“

Erhart Hohenstein

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