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Aus dem GERICHTSSAAL: Den Falschen angeklagt?

Täterschaft nicht zweifelsfrei zu beweisen/Freispruch

Stand:

Der langhaarige Mann im Mercedes war nicht angeschnallt. Außerdem telefonierte er mit seinem Handy, fuhr um 9.50 Uhr an der Langen Brücke bei Ampelrot über die Kreuzung. Pascale T. (24), Polizeibeamter in Zivil, erfasste die Verstöße am Morgen des 4. Oktober 2007 auf einen Blick, gab sie per Funk an einen in der Nähe stehenden Kollegen durch. Der hätte den Verkehrssünder anhalten sollen. Doch der Mercedes-Fahrer wendete auf der Friedrich–List-Straße, fuhr dann bedrohlich schnell auf Pascale T. zu, zeigte ihm einen Vogel und verschwand in Richtung Heinrich-Mann-Allee.

„Ich musste zur Seite springen, sonst hätte es geknallt“, schätzte der Polizist im Zeugenstand ein. Ganz sicher war er sich, dass Marko M.* (35) am Steuer saß. „Wir hatten schließlich Augenkontakt.“ Doch der Heilpraktiker – angeklagt wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte sowie Beleidigung – wehrte sich gegen die Vorwürfe. „Es liegt mir fern, jemanden zu verletzen. Meine Profession ist es zu heilen“, stellte der Potsdamer klar. An jenem Tag habe er sich in seiner Praxis in Berlin befunden. Dies könnten zwei Zeugen belegen. Der Mercedes habe vor seiner Wohnung in Potsdam-West gestanden. Den würden zahlreiche Leute, so auch seine Freundin und ein Nachbar, nutzen.

In der Tat sieht der Nachbar dem Angeklagten verblüffend ähnlich. Auch er trägt einen Pferdeschwanz, ist von normaler Statur, nur etwas kleiner als Marko M. Der Bauingenieur bestätigte, den Wagen öfter zu fahren. Amtsrichter Oliver Kramm wies ihn auf sein Aussageverweigerungsrecht hin, falls er sich selbst einer Straftat bezichtigen müsste. „Dann schweige ich jetzt“, erklärte der Nachbar.

„Der Angeklagte saß am Steuer“, betonte die Polizeibeamtin Andrea W. (26). Sie unterstützte Pascale T. bei der morgendlichen Kontrolle. Doch Dr. Christoph H. (42), Kieferorthopäde aus Berlin, versicherte, er habe sich von 9.30 Uhr bis 10.15 Uhr in einer Besprechung mit Marko M. befunden. Ein anderer Zeuge, Mitarbeiter eines Zahnlabors, gab an, in seinem Kalender zwischen 9 Uhr und 9.30 Uhr ein Treffen mit dem Angeklagten notiert zu haben. „Ob es an diesem 4. Oktober tatsächlich stattfand, kann ich allerdings nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Hätte Marko M. abgesagt, hätte ich die Eintragung aber durchgestrichen“, führte er aus. „Anhand dieses Falles lässt sich der Unterschied zwischen hinreichendem Tatverdacht und zweifelsfreier Überführung sehr gut darstellen“, resümierte der Richter. Es sei Marko M. nicht mit letzter Sicherheit zu beweisen, dass er am Steuer saß. Freispruch! (*Name geändert.) Hoga

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