Landeshauptstadt: Den ganzen Tag Hausaufgaben
Chinesische Schüler erzählen über ihren Schulalltag: Heimliche Zettel mit kritischen Anmerkungen
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Dadurch, dass China ein kommunistischer Staat ist, läuft hier vieles anders als in Europa. Beispiel: Schulerziehung. Bis jetzt habe ich noch keinen ganzen Schultag auf einer chinesischen Schule verbracht und kann mir deswegen das Lernklima nicht so gut vorstellen. Deswegen bat ich einige chinesische Schüler vor ein paar Tagen um ein kleines „Interview“. Und ich bekam unerwartete Antworten.
Die Schüler waren im Durchschnitt 12 Jahre alt und hatte von 7.30 bis 16.30 Uhr Unterricht. Die meisten stehen um halb sechs auf, um Hausaufgaben zu machen. Auch abends sitzen sie noch nach Schulschluss bis 24 Uhr an den Hausaufgaben. Hilfe von den Eltern gibt es keine, am Wochenende müssen einige von ihnen sogar bei der Arbeit helfen, von der das viele Schulgeld bezahlt werden muss. Insgesamt kriegen alle Schüler nicht mehr als vier Stunden Schlaf. Der wird dann schon mal in den Stunden nachgeholt. Beliebte Fächer sind Fremdsprachen, Mathe und Chinesisch kommen nicht so gut an. Auf die Frage, was denn besonders gut an ihrer Schule sei, bekam ich die verwegene Antwort: Sie ist in einem historischen Gebäude untergebracht, und das war“s.
Über europäische Schulen wussten sie im Grunde nicht viel, nur dass man wahrscheinlich weniger Hausaufgaben aufgibt. Ich glaube, dass es praktisch überhaupt nicht möglich ist, mehr aufzugeben als in China. Einige Schüler steckten mir nach dem Gespräch heimlich Zettel zu. Es zeigte, wie unzufrieden sie waren. Sollte es bekannt werden, dass ein Schüler öffentlich an der Schule Kritik übt, kann es sein, dass er um seinen Schulplatz fürchten muss. Die Ausbildung ist für Chinesen alles, da man nur mit einer guten Arbeit ein relativ gutes Leben führen kann. Was mich sehr schockierte, war der Fakt, dass die Schüler auch von ihren Lehrern gelegentlich getreten werden.
Gerade hatten wir den sogenannten „Sports Day“ mit den chinesischen Schülern zusammen. Es pfiff ein sehr kalter Wind über den Sportplatz. Wir Schüler mussten antraben und uns in einer Reihe, der Größe nach, hinstellen. Dann gingen die Lehrer herum und kontrollierten die Haltung. Ein Pfiff und wir mussten uns Richtung Fahnenständer drehen. Langsam wurde jetzt die chinesische Flagge gehisst, während die ganze Schule die chinesische Hymne sang. Ich fühlte mich so eingeengt wie noch nie zuvor und mir läuft es immer noch kalt den Rücken herunter. Ich fand das Gefühl schrecklich und werde es nicht vergessen. Insgesamt bin ich mit diesem autoritären Lehren und Lernen nicht einverstanden und würde mich schon nach kurzer Zeit nach unserem Schulsystem zurücksehnen. Dadurch, dass die Freizeit mit Hausaufgaben gefüllt ist und in der Schule alles genau vorgegeben wird, werden die Chinesen in den naturwissenschaftlichen Fächern, vor allem in Mathe, unglaublich gut, aber die kreativen Arbeiten bleiben auf der Strecke. Und genau die sind meiner Meinung nach wichtig, um sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu entwickeln. Josefine Markarian
Die Autorin ist 14 Jahre alt und lebt seit September in China. In loser Reihenfolge schreibt sie über ihre Eindrücke
Josefine MarkarianD
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