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POSITION: Den Kleinmut überwinden

Kurzsichtiger Pragmatismus oder bewusstes Gestalten? Von Saskia Hüneke

Stand:

Staudenhof, Alte Post, Langer Stall und Weiße Flotte im Lustgarten – ein epochaler Stadtumbau scheint in Mittelmaß und Kleinmut zu versinken. Der Beschluss zur behutsamen Annäherung an den historischen Stadtgrundriss von 1990, die Sanierungssatzung von 1999, die Empfehlungen des Beirates Potsdamer Mitte 2001 und 2002 sowie die Ergebnisse der Internationalen Werkstatt 2006 waren gut begründet und durch Stadtverordnetenbeschlüsse untersetzt. Wir haben auf breiter politischer und fachlicher Basis erarbeitet, dass die historische Stadtstruktur besondere Qualitäten aufwies und für die Wiederbelebung der Potsdamer Mitte die beste denkbare Grundlage darstellt – als ein großer Gewinn für die Gesamtstadt, ihre Bewohner und Gäste. Das dürfen wir nicht vergessen.

Das Landtagsschloss geht – hoffentlich – weiter seiner Vollendung entgegen, für die Bebauung an der Alten Fahrt sind die Weichen gestellt, das Potsdam-Museum im Alten Rathaus ist eröffnet, die Bibliothek fast fertig: Die erträumte Korrespondenz zwischen Erinnerung und neuer Gegenwart kann beginnen. Selbst wenn man über Einzelnes kritisch denken mag, hier sind gute Wege beschritten. Doch die Aufgabe ist immens, man sieht noch zu wenig, um die neue Stadtfigur erleben und damit verstehen zu können – hier liegt die Gefahr, sich von ihr abzuwenden, ehe ihre Chancen genutzt wurden.

Es war ein Fehler, die Bewohnerinnen des Staudenhofwohnhauses durch einen Beschluss, es könne erhalten bleiben, gegen alle bisherigen Erkenntnisse in die Irre zu führen, anstatt ihnen – und das müssen wir uns alle vorwerfen – rechtzeitig und nachvollziehbar sozialverträgliche Alternativen zu eröffnen. Nach der Korrektur dieses Beschlusses am 4. November ist das in den kommenden Jahren die Aufgabe von Stadtverwaltung und Pro Potsdam. Und wenn die Pro Potsdam am Grundstück der Alten Post plötzlich selbst investieren will, dann zeigt sich einmal mehr, dass es eigentlich um eine Frage der Prioritäten geht.

Und die Alte Post? Warum nutzt die Pro Potsdam wichtige Erkenntnisse aus dem von ihr selbst so gut geführten Workshop nicht? Ausgehend von der sehr qualifizierten Suche nach einer modernen Reminiszenz an das historische Gebäude wurde doch dort deutlich, dass eine detailreduzierte Wiederaufnahme der über zwei Geschosse reichenden Pilaster eben genau keine Lösung darstellt. Der neuerdings von der Pro Potsdam veröffentlichte Entwurf kann nur darin bestärken, stattdessen eine Erinnerungsarchitektur an die Alte Post von Johann Christian Unger zu errichten.

Betrachtet man außerdem die Entwürfe für die Humboldtstr. 1-3 und den zur Umsetzung avisierten Entwurf für den Langen Stall, verstärkt sich der Eindruck eines neuen, renditeoptimierten Potsdamer Neoklassizismus. Soll dieser wirklich die neue Mitte prägen? Wollten wir nicht eine spannungsreiche Korrespondenz von alt und neu, neues, d.h. modernes Bauen im alten Stadtgrund- und -aufriss neben den bestehenden historischen Bauwerken und den historisierenden Leitbauten? Am Langen Stall jedenfalls sollte man allen drei erstplatzierten Entwürfen des Ideenwettbewerbs eine Überarbeitungschance einräumen. Eine akzeptable Lösung ist für diesen hervorragenden Ort an der Plantage noch nicht gefunden. Auch die beiden Grundstückseigentümer, von denen einer der städtische Sanierungsträger ist, werden letztlich mehr von diesem Grundstück haben, wenn sie sich für Qualität statt Masse entscheiden.

Immerhin, ein Stückchen Moderne lässt der Entwurf für das Hafengebäude der Weißen Flotte erahnen. Das Problem liegt eher in den städtebaulichen Vorgaben. Während zur Buga 2001 das Ziel verfolgt wurde, dem ältesten Garten von Potsdam neue Qualität zu geben, das Neptunbecken wiederherzustellen und den Garten als Teil der Potsdamer Kulturlandschaft wiederzugewinnen, haben die funktionalen Ansprüche der Weißen Flotte jetzt Priorität erhalten. So sollen alle Funktionen in einem Gebäude sein, die Nähe zur Brücke bestehen bleiben, der Parkplatz ganz nah und natürlich die Rettungszufahrt gewährleistet sein.

Doch kann das sein: Noch ehe die Frage des Mercure gelöst ist, der Lustgarten also seine Freiheit wiedererlangt, noch ehe wir die durch das Landtagsgebäude neu gewonnenen Qualitäten des Gartenraumes würdigen können, bauen wir ihn von der einzigen zur Havel offenen Seite zu zwei Dritteln zu? Auch wenn man der Weißen Flotte als wichtigem Leistungsträger des Potsdamer Tourismus alles Gute wünschen will, muss man doch feststellen, dass das dem Standort nicht gerecht wird. Warum wird nicht endlich gemeinsam mit den Schöpfern des modernen Lustgartens gearbeitet, werden ihre Ideen einbezogen, anstatt die Gerichte zu beschäftigen? Der Spruch, die Weiße Flotte warte schon so lange auf eine Entscheidung, sollte uns nicht am Denken hindern. Mit dem Vorhaben, das Grundstück auch noch zu verkaufen, wird es ganz absurd: Die Privatisierung eines wichtigen öffentliches Raumes und die Festschreibung einer offensichtlich problematischen städtebaulichen Situation werden über kurz oder lang ähnliche Probleme erzeugen, wie wir sie jetzt mit dem Mercure haben. Warum nicht aus der Geschichte lernen? Es geht um einen der wichtigsten Erlebnisräume in der Stadtmitte, um einen der – so hoffe ich immer noch – schönsten Anziehungspunkte in der Stadt, es geht um eine hochwertige Grünfläche in der sonst eher steinernen Mitte, es geht um die einzige Beziehung vom Lustgarten zur Havel, um den Blick über den Park auf die Landtagsfassade, in der Summe um die wertvollsten Eindrücke für jeden Ankommenden.

Von den Investoren gleich welcher Geschäftsmodelle kann die Öffentlichkeit erwarten, dass sie auf diesen äußerst lukrativen Standorten nicht nur die schnelle Rendite, sondern eine nachhaltige Stadtentwicklung im Blick haben. Viele sind dazu bereit. Die städtischen Verantwortlichen der verschiedensten Ebenen müssen dies aber auch artikulieren und einfordern. Doch sie laufen gerade Gefahr, im kleinlichen Pragmatismus zu versinken. Haben wir den Mut, in den anstehenden Entscheidungen an die großartigen Intentionen der letzten beiden Jahrzehnte anzuknüpfen.

Die Autorin ist Stadtverordnete der Bündnisgrünen.

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