Von Joachim Ludwig und Peter Kossack: Den Übergang gestalten
Anstrengend und spannend zugleich: Wie aus Abiturienten Studierende werden
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Werden Abiturienten von den Schulen nicht mehr gut genug auf die Universität vorbereitet? Häufig ist zu hören, dass sich Hochschulen über die mangelnde Studierfähigkeit der Studierenden beklagen. Aus Sicht der Hochschulforschung gilt es, die Diskussion anders zu führen. Der Schulabschluss, der den Zugang zur Hochschule ermöglicht, ist ja nicht gleichbedeutend mit einem Zertifikat, das alle Fähigkeiten zum Studieren ausweist. Das Zeugnis gibt vielmehr darüber Auskunft, dass eine Person über die „Reife“ verfügt zu studieren. Die Studierfähigkeit selbst entsteht dann erst im Studium.
Wenn junge Erwachsene von der Schule an die Hochschule wechseln, vielleicht noch unterbrochen durch ein Freiwilliges Soziales Jahr, den Wehrdienst oder Zivildienst, dann befinden sie sich mitten in einer Übergangsphase von einem Status in einen anderen. Sie durchlaufen eine so genannte Statuspassage. Beim Schritt von der Schule zur Hochschule ist eine Reihe von Veränderungen zu bewältigen. Eine anspruchsvolle, komplexe Lebensphase beginnt. Für viele Studierende ist der Eintritt in die Hochschule mit einem Ortswechsel und damit einhergehend mit einer neuen Wohnsituation verbunden. Sie ziehen allein in eine eigene Wohnung, in ein Studierendenwohnheim oder werden Mitglied einer Wohngemeinschaft. Die andere Umgebung bringt ein neues soziales Umfeld mit sich. Schon diese wenigen Veränderungen machen die neue Lebensphase anstrengend und spannend zugleich.
Damit sind aber längst nicht alle Faktoren benannt, die diese Statuspassage zu einer besonderen Herausforderung werden lassen. Nicht wenige Studierende müssen sich um Verdienstmöglichkeiten kümmern und einen Job suchen. Sie müssen Anträge ausfüllen, zum Beispiel für das BAföG, die Immatrikulation durchlaufen, Ämter aufsuchen. Für die Studierenden oft eine neue Erfahrung.
An der Hochschule selbst müssen die Erstsemester dann ihren Studienalltag organisieren. Eine Vielzahl an Fragen stürzt auf sie ein: Welche Veranstaltung findet wann und wo statt? Welche Vorlesung, welches Seminar muss und kann ich überhaupt besuchen? Was kann ich hier lernen? Wie funktioniert das Studieren?
Beim Übergang zur Hochschule sollte weniger nach der schon vorhandenen Studierfähigkeit als vielmehr nach der „Passgenauigkeit“ gefragt werden: Wie gut passe ich zu dem Fach, das ich studieren möchte? Und eigentlich muss man noch genauer fragen: Wie gut passe ich zu dem konkreten Studiengang an genau dieser konkreten Hochschule? Gerade die letzte Frage ist möglichst genau zu stellen und zu beantworten: Welche Anforderungen sind mit dem Studiengang verbunden? Welche Fächer sind zu studieren? Wie wird in diesen Fächern gelernt und gearbeitet? Liegt mir das? Welche Vorerfahrungen und welches Vorwissen bringe ich mit? Erst wenn all diese Dinge klar sind, das richtige Fach am richtigen Ort gewählt wurde, kann es um die Entwicklung von Studierfähigkeiten gehen.
Dass dieses Thema so wichtig und aktuell geworden ist, hat mit der Umstellung der Studiengänge in den vergangenen zehn Jahren zu tun. Mit den eingeführten BA-Studiengängen soll das Studium nur noch drei Jahre dauern. Das bedeutet in der Folge, dass die Studierenden viel weniger Zeit haben, sich an der Hochschule zurechtzufinden, sich an das Fach, seine Anforderungen und die wissenschaftlichen Arbeitsweisen zu gewöhnen. Aus diesem Grund legen die Hochschulen großen Wert darauf, dass in der Studieneingangsphase die grundlegenden Studierfähigkeiten entwickelt werden.
Was genau ist nun aber unter Studierfähigkeit zu verstehen? Es ist nichts anderes als der Sammelbegriff für all die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die notwendig sind, um ein Studium zu bewerkstelligen. Dazu gehören zunächst allgemeine, so genannte überfachliche Kompetenzen, wie die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren und seine Zeit einteilen zu lernen. Dann sind natürlich spezifische fachliche und wissenschaftliche Kompetenzen gefragt, wie die Arbeit im Labor, die Recherche nach Informationen und Literatur oder spezielle Kenntnisse, um komplizierte Texte zu verstehen. Und schließlich geht es um die Fähigkeit, aus dem Alltagsdenken heraus treten und Selbstverständliches in Frage stellen zu können. Wissenschaftliches Denken bedeutet, den kritischen Blick auf die Gegenstände der Wissenschaft, auf Theorien und auf sich selbst zu richten.
Studierfähigkeit meint also ein Bündel an Kompetenzen, die die Studierenden zum einen Teil mitbringen und weiter ausbauen, zum anderen Teil erst an der Hochschule lernen können. Und genau darum geht es unter anderem in der Studieneingangsphase. Hier bieten die Hochschulen eine Vielzahl von Kursen und Beratungen, die die Studierenden in dieser Phase begleiten und in der Entwicklung der Studierfähigkeiten unterstützen.
So gesehen bedeutet der Übergang von der Schule zur Hochschule viel Arbeit, viel Bewältigung von Neuem. Das Neue jedoch macht das Studium zugleich unglaublich interessant. Es bietet Entwicklungsmöglichkeiten in fachlicher und persönlicher Hinsicht. Schüler erleben, wie sie zu Studierenden werden – und das bereitet eben auch Vergnügen.
Joachim Ludwig, Peter Kossack
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