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Die Direktorin des Einstein Forums, Susan Neiman, hat ein Buch über das Böse geschrieben

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Die Direktorin des Einstein Forums, Susan Neiman, hat ein Buch über das Böse geschrieben Lange bevor sich Politiker wie auch Terroristen berufen fühlten, „das Böse“ zu bekämpfen, hatte Susan Neiman begonnen, sich philosophisch mit dem Begriff des Bösen auseinander zu setzen. Angefangen mit Seminaren, die sie an der Yale University und der Universität von Tel Aviv hielt, zog sich ihre Beschäftigung mit dem Thema acht Jahre hin, bis schließlich 2002 das Buch „Evil in Modern Thought“ in Amerika erschien. Die deutsche Übersetzung kam in diesem Jahr im Suhrkamp Verlag heraus: „Das Böse denken“. Auf den 1. Oktober 2001 war die Abgabe des fertigen Manuskriptes geplant gewesen, erzählte Susan Neiman, denn andere Verpflichtungen drängten. Die Wissenschaftlerin ist Direktorin des Potsdamer Einstein Forums und Mutter von drei Kindern. Doch dann kam der 11. September 2001. Das Böse schlechthin? „Ich habe nicht viel umgeschrieben und ich glaube, es war richtig,“ sagt Susan Neiman, die nur eine Woche nach dem festgelegten Termin das Manuskript im Verlag einreichte. Ergänzt durch ein kurzes Kapitel über den 11. September 2001. Das Buch von Susan Neiman, mit dem Untertitel: „Eine andere Geschichte der Philosophie“, gibt einen Überblick über die philosophische Auseinandersetzung mit dem Problem des Bösen vom Beginn der Aufklärung bis ins späte 20. Jahrhundert. Susan Neiman räumt recht schnell mit der Vorstellung auf, der Begriff des Bösen könnte ein rein theologischer Begriff sein. Denn die Frage, wie das schreckliches Leid verursachende Böse in der Welt zu rechtfertigen sei, muss nicht die Frage nach Gott sein, sondern ist schlicht die Frage nach Sinn und Verstehbarkeit der Welt. Wie können wir angesichts der unser Leben begleitenden Schrecken Resignation und Zynismus vermeiden? Wie können wir an das Gute oder wenigstens an die Veränderbarkeit der Welt glauben? Auch gegen die Vorstellung, es gebe „das Böse an sich“, also ein unveränderliches Wesen des Bösen, wehrt sich Susan Neiman entschieden. Die philosophische Tradition liefert drei Formen des Bösen: Das natürliche Böse (Naturkatastrophen, Seuchen), das metaphysische Böse (die Tatsache, dass der Tod jedes Leben zerstört) und das moralische Böse (böses menschliches Handeln). Warum ist es so wichtig, zwischen verschiedenen Formen des Bösen zu unterscheiden? Warum sind demagogische Reden vom „Kampf gegen das Böse“ gefährlich? „Weil sie uns blind machen für die anderen Formen des Bösen“, ist Susan Neimans Antwort. Gibt ihr Buch zunächst einen spannenden historischen Abriss über Ereignisse, die zu Veränderungen im Denken über das Böse führten, so nähert es sich gegen Ende unserer Gegenwart an. Auschwitz, als ein Symbol des Bösen im 20. Jahrhundert, lieferte den Anstoß für das Buch: „Welchen Sinn hat es überhaupt, auf die Vernunft zu setzen angesichts eines Bösen, das aller Vernunft trotzt?“ Auschwitz steht, so Neiman, für eine neue Form des Bösen. Ein moralisches Böses, dem die gewohnten Merkmale der Absicht und der Böswilligkeit fehlen: „Die Nazis erzeugten mehr Böses mit weniger Bösartigkeit, als die Zivilisation es je gesehen hatte.“ Das Kapitel über den Terror steht wie ein Fremdkörper in der geistesgeschichtlichen Abhandlung. Doch es zieht diese Abhandlung noch konkreter in unsere Nähe, als es der Vorsatz vermag, die Kluft zwischen Alltagsreflexion und philosophischem Fachdiskurs zu schließen, mit dem Susan Neiman ihr Buch geschrieben hat. Es geht nicht darum, das allerböseste alles Bösen zu identifizieren, das es wohl gar nicht gibt, sondern die verschiedenen Formen zu beschreiben, wie Susan Neiman betont, um wachsam sein, die leisen Anzeichen erkennen und ihnen begegnen zu können. Und um der Gefahr zu entgehen, Böses als etwas unerklärbar Dämonisches, als eine „gerechte Strafe“ oder als unabwendbar zum Leben Gehörendes zu betrachten. Statt dessen kann der Versuch, Böses mit dem Verstand zu durchdringen, aus Angst und Ohnmacht befreien und eine angemessenen Reaktion auf Böses in der Welt ermöglichen. So liefert das Buch von Susan Neiman einen anregenden Denkanstoß für unsere Zeit. Dagmar Schnürer Susan Neiman: „Das Böse denken“ Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2004, 489 Seiten; 32, 90 Euro.

Dagmar Schnürer

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