zum Hauptinhalt
Immer schneller. David Behre 2012 bei den Paralympics in London.

© dpa

Sport: Der Besucher

Deutschlands bester Prothesensprinter David Behre erzählt Unfallopfern im Krankenhaus seine bewegte Geschichte

Stand:

Berlin - Manchmal taucht David Behre an einem Bett im Krankenhaus auf. In langen Hosen kommt er ins Zimmer eines Unfallopfers. Er will Mut machen. Dass das Leben auch nach einer Amputation weitergehen kann. Oft wird er angeblafft, woher er das denn wissen wolle. Dann geht er kurz hinaus und kommt in kurzer Hose wieder herein. Auf Prothesen. Denn seine Beine hat David Behre verloren.

Behre gehört zu den Behindertensportlern, die mitreißen wollen. Die einen Drang haben, auch andere von ihrer Entwicklung profitieren zu lassen. „Ich setze auf den Aha-Effekt“, sagt der 28-Jährige über seinen Lange-Hose-Kurze-Hose- Auftritt. Und um zu zeigen, was alles nach einem schlimmen Unfall möglich ist, erzählt er manchmal auch vom paralympischen Finale 2012 im Olympiastadion in London über 400 Meter. Als sich Behre genau mit dem Mann durchs Rennen kämpfte, der ihm selbst wieder Mut gemacht hatte: Oscar Pistorius, seinem sportlichen Vorbild. Pistorius rannte in jenem Rennen Weltrekord, Behre wurde Fünfter, umarmte Pistorius im Ziel und in den Katakomben sagte er: „Es ist ein Wunder, dass ich heute überhaupt hier starten konnte. Und jetzt stehe ich hier auf meinen Prothesen, auf den Tag genau fünf Jahre nach meinem Unfall.“

David Behre wollte eigentlich Motocrossprofi werden. Fünf Tage vor seinem 21. Geburtstag will er erstmals im Gelände eine Maschine testen, die er sich zusammengespart hat. Mit ihr will er seinen Traum vom Profisport erfüllen, doch dazu kommt es nicht.

Es ist der 8. Septembers 2007, als Behre gegen fünf Uhr morgens in Moers von der Party eines Freundes mit dem Fahrrad zurückfährt. Knapp 400 Meter von seinem Haus entfernt muss er einen achtgleisigen Bahnübergang überqueren. Der Übergang ist schlecht einsehbar, die Schranke unzuverlässig. Und in jenem Moment geöffnet, obwohl ein Zug kommt. Im Nachhinein wird er erfahren, dass der Wind ungünstig stand, sodass er den Zug nicht hören konnte. David wird mitgeschleppt und klammert sich, vermutlich reflexartig, über hundert Meter an der Lok fest. Dann rutscht er ab, das linke Bein wird abgefahren, dreißig Meter weiter der rechte Fuß oberhalb des Sprunggelenks. Der Zugführer bekommt von alldem nichts mit. Als David aufwacht, liegt er hilflos im Dornenbusch. Er registriert, dass seine Beine fehlen und kämpft sich aus eigenen Kräften den Bahndamm hinauf. Er schreit um Hilfe. Doch erst nach drei Stunden hört ihn eine Anwohnerin, alarmiert den Notarzt und wird zu seiner Lebensretterin, weil sie ihn findet und wach hält.

Seiner Lebensretterin sagt David noch am Bahndamm, dass er wieder laufen werde. Mit dieser Einstellung geht er auch die ersten Tage im Krankenhaus an. Sein Überleben gilt als medizinisches Wunder. Er will leben und laufen. Vier Tage nach seinem Unfall schaltet er im Krankenhaus den Fernseher ein und sieht einen Bericht über den Prothesensprinter Oscar Pistorius. „Er hat die gleiche Amputationshöhe wie ich, er vollbringt die gleiche Leistung wie nichtbehinderte Athleten – und schlägt sie sogar. Er hat es geschafft. Das auch können zu wollen, war eine Riesenmotivation für mich.“

Behre kämpft sich durch die Reha und lernt, auf Prothesen zu gehen. Nachdem er Deutschlands besten Prothesensprinter Heinrich Popow kennengelernt hat, zieht er nach Leverkusen, um mit ihm zu trainieren. Schnell feiert er selbst Erfolge, wird zu Europas „schnellstem Europäer ohne Beine“. In diesem Jahr hat er den EM-Titel über 400 Meter gewonnen.

Das motiviert ihn weiter, immer wieder bei Unfallopfern im Krankenhaus aufzutauchen. Und in zwei Jahren möchte er ihnen dann noch etwas erzählen: dass er in Rio de Janeiro die paralympische Goldmedaille gewonnen hat. Nico Feisst

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })