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Symposium zur Frühförderung von Kleinkindern an der Universität Potsdam / 750 Teilnehmer kamen
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Symposium zur Frühförderung von Kleinkindern an der Universität Potsdam / 750 Teilnehmer kamen „Kleinkinder sind keine Einsteins“, stellte Martin Thurmair von der überregionalen Arbeitsstelle für frühkindliche Förderung in Bayern klar. In der frühen Kindheit, dazu zählen die Jahre bis Abschluss des Kindergartenalters, müssten die Kinder nicht gleich Deutsch und Chinesisch lernen. Schließlich müssten die Kleinen immer noch an einfache Dinge herangeführt und auch noch gewickelt werden. „Die sind nicht autonom“, so Thurmair. Der Pädagoge Martin Thurmair referierte auf dem Symposium der Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung, das vom 3. bis 5. März an der Universität Potsdam statt fand. 750 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet waren gekommen, auf 150 weitere Nachfragen gab es eine Absage. Das große Interesse an der Tagung habe auch mit einer allgemeinen großen Verunsicherung auf dem Gebiet zu tun. „Die Leute sind verunsichert mit den gesellschaftlichen Umbrüchen“, erklärte die Sprecherin des Organisationsteams Frau Burgunde Philips. Allein in der Arbeitsgruppe von Martin Thurmair saßen über 50 Teilnehmer, vor allem Frauen mittleren Alters. Sie wollten sich austauschen und dazulernen, um ihre pädagogische Arbeit nach vorn zu bringen. An diesem Ort sollte es darum gehen, diagnostische Leitlinien in der interdisziplinären Frühförderung vorzustellen, die in Bayern gerade Entwickelt werden. Neben dem Pädagogen saß außerdem die Psychologin Marlene Schmid-Krammer, Leiterin der Frühförderungsstelle in Menningen/Bayern. Sie erläutert das ein Leitfaden für interdisziplinäre Frühförderung jetzt möglich sei, da sie mittlerweile genug Erfahrungen in der Diagnostik gesammelt hätten. „Die staatlichen Kostenträger unserer Einrichtungen wollen harte Fakten, eine Begründbarkeit für ihre Zahlungen“, die wolle sie so liefern. Außerdem sei das ein Schutz gegen Billiganbieter. Es habe lange gedauert bis die frühkindliche Förderung gesetzlich wurde. „Jetzt sind wir optimistisch, weil sich Gesetze so schnell nicht verändern.“ 1974 fiel der Startschuss für eine gesetzliche Regelung in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Aber als erstes gab es in Bayern einen systematischen Ausbau, so dass heute in jedem Landkreis eine Förderstelle zu finden ist.Ob die anderen Bundesländer entsprechend nachziehen können ist laut Martin Thurmair noch nicht klar. Dafür fehle wohl in den meisten Ländern das Geld. Wie so eine erweiterte Entwicklungsdiagnostik eines Kindes überhaupt aussieht und wie sie dem Leitfaden zugeordnet werden kann, macht die Psychologin Marlene Schmid-Krammer an einem Fallbeispiel deutlich: Ein Kind das in seinem Kindergarten auffällig wurde, wird zur Frühkindlichen Diagnostik geschickt. Es hatte in der Kindergartengruppe hyperkinetisches Verhalten und motorische Störungen gezeigt. Nun stellt sich heraus, dass das Kind seit dem ersten Lebensjahr unter schwerem Asthma leidet. Es konnte manchmal nächtelang nicht schlafen und kam müde in den Kindergarten. Die Mutter bemerkte den schwachen Zustand des Kindes und hat ihm nichts Schweres zugemutet. Zudem, erzählt dann die Mutter, sei der Vater ausgezogen. Das Kind sei verunsichert, frage aber nicht wo der Papa ist und halte sich die Ohren zu, wenn die Mutter versucht, mit ihm darüber zu sprechen. Die Psychologin Marlene Schmid-Krammer stellte nun exemplarisch vor, wie dieses Fallbeispiel in die Leitlinien einzuordnen ist, die sich an fünf Achsen orientieren. Zum ersten sei eine Förderung im Rahmen der Kognition problematisch, deswegen müsse das Kind nicht behandelt werden. Im zweiten Punkt, medizinisch gesehen, stehe das Asthma ganz eindeutig im Vordergrund. Hier müsse in jedem Falle etwas geschehen. Zudem fielen die motorischen Störungen auf. Bei den emotionalen Störungen sei zu erwähnen, dass das Kind starke soziale Probleme im Kindergarten habe. Es sei emotional sehr labil. Was den familiäreren Aspekt betreffe, sei wohl die Familie nicht ganz stabil. „Welcher Fachbereich käme bei einer interdisziplinären Frühförderung jetzt in Frage?“ Die Psychologin schaut in die gespannten Gesichter der Teilnehmer der Arbeitsgruppe und antwortet selbst. „Das Asthma steht im Vordergrund, da können wir aber nichts machen“, das müsse ein Arzt übernehmen. Bei den motorischen Störungen könne man für das Kind aber Ergotherapie anbieten. „Für uns stehen aber eigentlich die Probleme des Kindes im Vordergrund, mit schwierigen Situationen umzugehen.“ Um an dieser Stelle zu helfen, hätten sie dann eine Heilpädagogin hingeschickt. Diese sollte versuchen das Kind da zu erziehen, wo sich die Mutter nicht getraut habe. Es gehe nach der Diagnose um das Gewichten, so die Psychologin: „Was ist der nächste Schritt, bei dem das Kind und die Eltern unterstützt werden müssen?“ Das interdisziplinäre Arbeiten habe dabei einen ganz entscheidenden Vorteil. „Nach zwei Jahren habe ich einen Blick fast wie die Mutter“, die Teilnehmerinnen nicken Marlene Schmid-Krammer zu. „Ich freue mich dann über jeden Fortschritt, bin nicht mehr objektiv.“ Da sei es gut, wenn einmal im Jahr jemand von außen kommt. Dieser Blick von außen sei es auch, den Eltern immer häufiger brauchen. Pädagoge Martin Thurmair erklärt die Zusammenhänge. Allgemein gäbe es die Tendenz bei Eltern, eher zu viel für die Kinder zu tun, statt sie Kind sein zu lassen. „Der Kurs für das Kind und dann noch der Kurs; Musikalische Früherziehung und Therapeutisches Reiten. Einerseits sind die Eltern sehr verantwortlich, andererseits machen sie oft auch sehr komische Sachen“. Die frühe Kindheit sei etwas sehr „kippeliges“ geworden und habe nichts Natürliches mehr. Dies sei mittlerweile zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden. Martin Thurmair gibt in diesem Zusammenhang auch zu bedenken, dass der Verlust eines der vielen Kinder früher für eine Mutter eine ganz andere Akzeptanz hatte als heute. Bei so wenigen Kindern wie heute sei die Lage eine völlig andere. „Wir haben so wenig Kinder, da muss man wenigstens versuchen, dass aus denen etwas wird!“ Friedmar Tielker
Friedmar Tielker
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