Sport: Der Code-Geber
Hagen Wolf ist Quarterback im Jugenteam der Potsdamer Royals. Er ist so etwas wie der Schachmeister beim American Football
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Für Außenstehende ist es eine verwirrende Folge von Zahlen, Buchstaben und Wörtern. Und dann auch noch auf Englisch. „Split right 7-3-7 H Post Queen“ sind innerhalb der deutschen Breitengrade für viele ein völlig unverständliches Sportvokabular. Die Abseitsregeln im Fußball mag die halbe Nation kennen, aber Spielzüge im American Football sind nur was für Fachkundige.
Hagen Wolf kennt über 100 dieser Codes – sogar auswendig. Der 18-Jährige ist Quarterback in der Jugendmannschaft der Potsdamer Royals. Hinter der Position verbirgt sich der Spielführer der Offensivabteilung einer Mannschaft – und ihr Wortführer. Denn er ruft seinen Mitspielern vor jedem Angriff jenen Code zu, hinter dem sich der nächstgeplante Spielzug verbirgt. Jeder Mitspieler weiß die Formel zu entschlüsseln und somit, was er im nächsten Moment zu tun hat.
Hagen Wolf sieht nicht so aus, wie man sich einen American Footballer vorstellt – also muskelbepackt, mit Stiernacken. Der Potsdamer ist groß und schlank mit der Figur eines Läufers. „Das war ich ja auch bis vor anderthalb Jahren“, sagt er. Mit 13 Jahren kam er an die Sportschule am Luftschiffhafen mit der Idee, ein guter 400- und 800-Meter-Läufer zu werden. Nach vier Jahren Training kam er an seine Grenzen – sowohl sportlich als auch vom Kopf. „Ich brauchte was Neues“, sagt er, „ich konnte mich mit einer Einzelsportart nicht mehr identifizieren.“ Ein Freund nahm ihn mit zum Probetraining der Royals. „Das hat micht sofort gepackt“, erinnert sich Wolf an die einzelnen Übungsstationen mit kurzen und längeren Sprints und robusten Zweikämpfen. Selbst die Duelle Mann gegen Mann mit aller Wucht des Körpers „haben mir komischerweise gefallen“, sagt Wolf. Er war sofort fasziniert.
Anderthalb Jahre später spielt er als Quartberback der Royals auf der Schlüsselposition des American Footballs. Neben dem Training zweimal in der Woche studiert er ausgiebig das Spielbuch, in dem in der fast 150-jährigen Geschichte des American Footballs Hunderte Spielzüge beschrieben sind. Davon stehen alle, die die Royals in ihrem Reportoire haben, auf einer Art Notizzettel, der bei einem Spiel auf Wolfs Unterarm klebt. Ruft ihm sein Trainer von der Außenlinie den nächsten Spielzug aufs Feld, genügt Wolf ein kurzer Blick auf den Zettel, um seinen Mitspielern genau zu erklären, wie und wohin sie laufen sollen, wer den Ball fängt, wer ihn übergibt, wer den Gegner blockt. „Danach muss jeder wissen, was er zu machen hat. Mach ich dabei einen Fehler, ist der ganze Spielzug im Eimer“, sagt Wolf. Das sei wie Großfeldschach.
Dem 18-Jährigen gefällt diese Rolle. „Ich bin gerne ein Leader“, sagt er mit einem für sein Alter erstaunlichem Selbstbewusstsein. Er übernehme gern die Aufgabe, anderen zu zeigen, dass seine Mannschaft gewinnen will. „Ein Quarterback ist schon eine extreme Autoritätsperson“, meint er. Dabei sei er eher ein leiser Vertreter seiner Zunft. „Manche sind laut und in ihrer Spielweise passiv“, so Wolf. Er versuche eher auf die ruhige Tour, Kommandos zu geben und sei mehr der aktive Spielgestalter. Klar: „Ich renne auch mal“, so der einstige Läufer.
American Football und Potsdam? Auch für Wolf klang das zunächst merkwürdig. „Und die vielen englischen Begriffe“, sagt er verständnisvoll grinsend, wenn damit keiner etwas anfangen kann. „Aber ich bin mir ganz sicher, dass der Sport in einigen Jahren in Potsdam sehr populär sein wird“, sagt er. Schließlich seien die meisten Spieler in der Stadt zuhause und würden ihren Sport unter Freunden immer bekannter machen.
Die Royals gibt es inzwischen neun Jahre, sie haben 160 Mitglieder und zu den Probetrainings zweimal im Jahr kommen bis zu 60 Leute. Sportlich schafften die Royals mit ihrer Herrenmannschaft von 2007 bis 2010 etwas bundesweit Einmaliges: den Durchmarsch von der Verbands- in die Zweite Bundesliga. 2011 dann fast das Aus: Der SC Potsdam als damaliger Trägerverein verzichtete auf das Startrecht für die Zweite Bundesliga der Footballer, die Abteilung wurde aufgelöst und American Football in Potsdam war fast Geschichte. Viele Trainer und Spieler suchten sich andere Vereine. Allerdings existierte bereits seit 2007 zur Förderung des Footballsports in Potsdam der Verein American Football Potsdam Royals e.V., der mit Geld für Trainingslager und Trainingsequipment half. Aus diesem Verein gingen die Potsdam Royals als eigenständiger und unabhängiger Footballverein hervor.
Männer- und Jugendteam sind inzwischen wieder in der Regionalliga angekommen, beide haben ihre ersten beiden Saisonspiele gewonnen. Am morgigen Sonntag gibt es für die Männer das erste Heimspiel. Das Nachwuchsteam spielte bereits in der vergangenen Woche vor 300 Zuschauern an der neuen Heimspielstätte, dem Sportcampus der Berlin Brandenburg International School in Kleinmachnow. „Das Umfeld der internationalen Schule ist perfekt für uns“, schwärmt Hagen Wolf. Das Ziel der Mannschaft ist genauso selbstbewusst wie das Auftreten ihres Quarterbacks: „Wir wollen die Liga dominieren und aufsteigen“, sagt Wolf. Das würde in der kommenden Saison die Zweite German Football League bedeuten. Hagen Wolf würde dann allerdings ins Männerteam aufrücken. „Vielleicht gehe ich aber auch erst mal ein Jahr ins Ausland“, sagt er. Die Frage nach dem Wohin erübrigt sich. „Amerika wäre cool.“
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