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Turbine-Coach Bernd Schröder über die Frauenfußball-WM: „Der deutsche Klub-Fußball ist die Basis“
Bernd Schröder, Coach des 1. FFC Turbine Potsdam, spricht im PNN-Interview über die Frauenfußball-WM in Kanada, die verpasste Finalchance der deutschen Mannschaft und seine Kritik an DFB-Trainerin Silvia Neid.
Stand:
Bernd Schröder ist mit 72 Jahren der dienstälteste Trainer in der Frauen-Bundesliga. Gemeinsam mit seinen Bundesliga-Kollegen Colin Bell (Frankfurt) und Ralf Kellermann (Wolfsburg) hat er Nationaltrainerin Silvia Neid nach dem WM-Halbfinalaus der deutschen Mannschaft in Kanada hart kritisiert. System, Technik und Taktik, Flexibilität, mentale Stärke und künftige Konkurrenzfähigkeit im Welt-Frauenfußball – nahezu alles rund um die Nationalelf wurde infrage gestellt. Im PNN-Gespräch konkretisiert er seine Kritik.
Herr Schröder, warum konnte man sich hierzulande als Fußball-Fan das Finale der Frauen-WM anschauen, auch wenn Deutschland nicht im Endspiel stand?
Weil wir eine gute Verbindung mit Japan haben. Yuki Ogimi ist Weltmeisterin geworden, als sie bei Turbine Potsdam spielte, ihre Schwester, die heute bei uns spielt, war im Kader der Japanerinnen. Und natürlich haben wir einen engen Kontakt zu den USA, der entstanden ist, als Pia Sundhage dort noch Trainerin war. Das Entscheidende war aber der Anschauungsunterricht, den das Finale geboten hat. Vor allem der amerikanische Fußball steht ja für Athletik, Selbstvertrauen, die Liebe zu dieser Sportart. Letztlich war dieses Finale eine Werbung für den Frauenfußball. Das war der Höhepunkt, der die Reihe von schlechten Spielen in Kanada aber nicht ganz wettgemacht hat. Dennoch: Auf das Endspiel kann der Frauenfußball aufbauen.
Sie haben Nationaltrainerin Silvia Neid für das Abschneiden der deutschen Auswahl kritisiert und schon frühzeitig gewarnt, dass es für die Mannschaft nach der Vorrunde schwierig werden wird. Woran haben Sie das festgemacht?
Wir waren nicht ehrlich genug, zu erkennen, dass die Vorrundensiege oder auch später das Achtelfinale Muster mit wenig Wert waren. Bei der Zusammensetzung der Mannschaft bin ich nach wie vor der Meinung, dass wir ins Endspiel hätten kommen können. Wir hatten eine Mischung von Jung und Alt, die passt. Nach den Siegen gegen die Elfenbeinküste und Thailand wurde nicht zum richtigen Zeitpunkt zur Tagesordnung übergangen, um die offensichtlichen Schwächen – vor allem im Torabschluss – zu benennen und bestenfalls zu beheben. Auch das 4:1 im Achtelfinale gegen Schweden wurde nicht richtig bewertet: Schweden ist ein Wrack, das ist derzeit keine Mannschaft mit Format.
Warum ist es aus Ihrer Sicht nicht mit der nötigen Konsequenz auf die Schwächen reagiert worden?
Ich bin auch ein Trainer, der gern an einer Mannschaft festhält. Unsere großen Turbine-Erfolge hatten wir in der Zeit, in der wir kaum die Stammformation verändert haben. Der Gedanke, mit einer konstanten Elf zu spielen, ist nicht verkehrt. Die Amerikanerinnen haben es ähnlich gemacht, hatten aber wenig Aufwand und einen hohen Wirkungsgrad. Die Krux für Deutschland bei der WM war, dass man mit angeschlagenen Spielerinnen weitergemacht hat, deren Probleme und Defizite immer offenkundiger wurden. Dadurch, dass wir kaum Veränderungen vorgenommen haben, waren wir in den entscheidenden Momenten platt. Und in den Phasen, in denen es nicht lief, gab es von außen und durch Einwechslungen nicht die entscheidenden Impulse. Es ist nicht gelungen, den Rhythmus des Spiels zu ändern. Die Qualität dafür hätten wir gehabt und ausreichend Spielerinnen auch, die es verdient hätten zu spielen.
Braucht es in solchen Situationen die Erfahrungen und die Lehrzeit aus Trainerjahren in einem Verein und in der Bundesliga?
Silvia Neid hat als Bundestrainerin über 100 Länderspiele gemacht. Aber es ist klar: Wir Klubtrainer haben jeden Sonntag diese Situationen. Wir sind Woche für Woche gefordert zu handeln, sich über taktische Umstellungen auszutauschen und sich zu verständigen, wie man dem Spiel eine andere Richtung geben kann. Aber wenn du draußen sitzt und nicht weißt, was du machen sollst, weil das seit Jahren festgespielte System wie im Halbfinale von den USA geknackt wird, ist es schwierig. Und wenn die Amerikaner was können, sind es Videoauswertungen und akribische Analysen anderer Mannschaften. Wir sind nicht aus dieser Lethargie rausgekommen und haben unseren Stiefel durchgespielt. Es war eine Starre, in der der Trainerstab die Mannschaft im Stich gelassen hat. Die Führung von außen war in dem USA-Spiel irgendwie verloren gegangen.
Nun haben Sie für eine gemeinsame Aufarbeitung der WM plädiert. Wie sehr und wo sehen Sie sich in der Verantwortung für die Nationalmannschaft?
Mir geht es immer um die Sache. Daher ist es ärgerlich, wenn der Wert einer Kritik verkannt wird. Wir haben an sich ja eine gute Ausgangslage in Europa. Deutschland hat seit Jahren eine Spitzenposition im europäischen Vereinsfußball. In der Bundesliga haben wir durch die ersten vier, fünf Mannschaften einen hervorragenden Klub-Fußball, der in diesem Jahr sicher in der Breite noch zunimmt. Das haben andere Länder nicht. Wir müssen uns auch nicht an Schweden oder Norwegen orientieren. Wir sind sehr gut aufgestellt in der Bundesliga mit sehr guten Trainern. Wir sind in der Lage, mit unserem Klub-Fußball die beste Basis für die Nationalmannschaft zu sein. Und da muss man jetzt schauen, dass wir das Umfeld in den Klubs personell und materiell gut ausrüsten und weiterentwickeln. Und ich werde weiter dafür plädieren, dass man für die Nationalmannschaft mehr auf die Spielsysteme in den Vereinen schaut und die Positionen auch mit Spielerinnen besetzt, auf denen sie in ihren Klubs erfolgreich sind. Wir sind nicht offen genug für Innovationen und Veränderungen. Diese einzufordern, sehe ich als meine Verantwortung.
Ein Wort zu Tabea Kemme, die als einzige Turbine-Spielerin in Kanada in jedem Spiel dabei war und viel gelobt wurde. Was kann das für Sie hier bei Turbine bewirken?
Ich war selbst etwas überrascht, dass sie so viel gespielt hat. In ihren taktischen Auslegungen hat sie Luft nach oben. Aber mit ihrer Art Fußball zu spielen, mit Leidenschaft, Einsatz, Engagement und Athletik, kann sie ein Vorbild sein. Diese Art ist wichtig für uns.
Kunstrasen, wenige Zuschauer, zumindest in der Vorrunde exotische, kaum wettbewerbstaugliche Gegner – war diese WM in Kanada ein Erfolg für den Frauenfußball?
Die WM war ein Gewinn durch die Leistung im Endspiel. Wenn das Finale schlecht gewesen und dies als letzter Eindruck geblieben wäre, müsste man es vielleicht anders bewerten. Ich denke schon, dass diese WM ein paar Haken und Ösen hatte. Man kann nicht in Stadien spielen, in denen im Sommer das Dach nicht geöffnet wird. Kunstrasen geht nicht. Und mit Mannschaften wie Thailand oder der Elfenbeinküste verwässern wir das Niveau. Damit ist diesen Nationen nicht gedient und dem Frauenfußball tut man damit keinen Gefallen.
Das Gespräch führte Peter Könnicke
ZUR PERSON: Bernd Schröder (72) beendet seine Trainertätigkeit beim Frauenfußball-Bundesligist 1. FFC Turbine Potsdam im Sommer 2016. Seit 1971 ist er als Trainer für Turbine tätig.
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