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Landeshauptstadt: Der die Schiffe zählt

Dietrich Mieroph wohnt am Sacrow-Paretzer-Kanal. Er ist gegen die Ausbaupläne vor seiner Haustür. Er weiß, dass der Bedarf fehlt.

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Dietrich Mieroph wohnt am Sacrow-Paretzer-Kanal. Er ist gegen die Ausbaupläne vor seiner Haustür. Er weiß, dass der Bedarf fehlt. Von Guido Berg Dietrich Mierophs Wohnadresse weckt maritime Erwartungen: Potsdam, Steife Brise 1. Es überrascht aber doch, dass sie derart sinnlich erfüllt werden: Es ist nicht nur, dass es dort zieht wie Hechtsuppe. Unweit von Mierophs Wohnhaus, an der Stelle auf der Potsdamer Insel, von wo die Luftlinie bis zur Nordsee am Kürzesten ist, steht tatsächlich ein Leuchtturm. Wenn auch nur ein kleiner: Er ist vier Meter hoch, ein Stahlpfeiler mit einer Plattform, auf die laut Schild nur Befugte über eine kleine Leiter gelangen. Sein grünes Leuchtfeuer soll Schiffen auf dem Schlänitzsee den Weg in den Sacrow-Paretzer-Kanal weisen. Doch im Moment ist keines zu sehen. Links von der Kanalmündung liegt lediglich die „Thailand“ vertäut, ein altes Lotsenboot, das sicher mal Salzwasser unterm Kiel hatte. Die Sorgfalt, mit der der Schiffseigner gerade seinen Traum von der großen Fahrt inspiziert, lässt hoffen, die „Thailand“ habe ihre besten Tage noch nicht hinter sich. Aber sonst? Kein Schiff am Horizont. Vor der Wende war das noch anders, meint Dietrich Mieroph. Da wurde Westberlin auf dem Wasserweg mit Öl versorgt. „Sechs bis zehn Großtanker mit je 1000 Tonnen sind hier am Tag durch“, sagt der 59-Jährige. Alle drei Stunden einer. Jetzt komme höchstens noch einer in der Woche. Dietrich Mieroph weiß, was auf dem Sacrow-Paretzer-Kanal vor sich geht. Weil er seit Mitte der Siebziger Jahre an der Steifen Brise wohnt. Weil er vom Wohnzimmer aus auf den Kanal sehen kann und darüber hinaus auf den Park von Schloss Marquardt. Jetzt im Winter, wo die alten Bäume kahl sind, die dem geplanten Kanalausbau weichen müssen, kann er sogar das Dach des Marquardter Schlosses erkennen. Und weil er seit Bekanntwerden des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nummer 17 genauer hinsieht, was vor seiner Haustür auf- und abschippert. In der Bürgerinitiative gegen den Havelausbau ist Dietrich Mieroph der Mann, der die Schiffe zählt. 6 bis 9.10 Uhr: Keine Schiffsbewegungen. 9.10 Uhr: „Fortuna“, 826 Tonnen, Kohlengrus, Richtung Berlin. 11.30 Uhr: „Seeberg“, 767 Tonnen, leer, Richtung Berlin. 12 Uhr: „Goldberg“, 748 Tonnen, leer, Richtung Brandenburg/Havel. 14.45 Uhr: „Falke“, 735 Tonnen, leer, Richtung Berlin. 16.10 Uhr: ODA/Polen, 2x416 Tonnen, leer, Richtung Berlin. 16.30 Uhr: „Fredericus“, 256 Tonnen, Kies, Richtung Berlin. 19 Uhr: „Lauenfelde“, 1047 Tonnen, leer, Richtung Brandenburg/Havel. 19 bis 22 Uhr: Keine Schiffsbewegungen. An einem beliebigen Tag notierte sich Dietrich Mieroph penibel den Schiffsverkehr auf dem Kanal: Schiffsname, Frachtkapazität, Ladung, Fahrtrichtung. In 16 Stunden passieren sechs Frachter den im Jahr 1875 ausgehobenen Schifffahrtsweg. „Vor 1989 waren es sechs Frachter in einer Stunde“. Der Elektromechaniker kommt immer wieder auf die Zeit zurück, als der Kanal bewies, dass er für die Versorgung Berlins groß genug ist. Er versteht nicht, warum sich die Politik nicht von den enormen Tonnagezahlen verabschiedet, die 1992 für die Zukunft der Havel prognostiziert wurden. Die Zukunft ist Gegenwart geworden und die ist anders als gedacht. Wenn auf eine Autobahn im Durchschnitt alle drei Stunden ein Auto vorbeikäme, würde zwischen den Betonfugen bald Gras wachsen. Auf der Autobahn zwischen Berlin und Hannover, auf der die Brummi-Fahrer den Havel-Schiffern Konkurrenz machen, wächst kein Gras, der Lkw-Verkehr rollt unaufhörlich. Dietrich Mieroph kann sich nicht vorstellen, das die Spediteure aufgeben werden und der Güterverkehr von der Straße aufs Wasser verlegt wird, nur weil der Kanal breiter geworden ist . Aber schon jetzt könnte mehr auf dem Wasser transportiert werden, meint Mieroph. Ein Freund aus Bremen ist Schiffer. Wenn er alle vier Wochen an der Steifen Brise vorbei kommt, hupt er laut. „Er kann ja schlecht anhalten mit seinem Pott und auf einen Kaffee reinkommen.“ Der Freund sagt, er suche händeringend nach Aufträgen, auch für Haveltouren nach Berlin. Wöchentlich einmal durch den Sacrow-Paretzer-Kanal, das wäre dem recht. Aber er habe keine Aufträge, könne sich gerade so über Wasser halten. Wieder ein beliebiger Tag, der Tag des PNN-Besuchs bei Dietrich Mieroph: 11 bis 13 Uhr: Keine Schiffsbewegungen – von einem Polizeiboot abgesehen. Dietrich Mieroph triumphiert nicht. Er sagt nicht „Was hab“ ich gesagt?“. Das ist nicht seine Art. Er engagiert sich nicht, weil er Recht haben will. Auch nicht, weil keine großen Schiffe an seinem Haus vorbei fahren sollen. Schon eher der Bäume am Ufer wegen. „Uns tut die Umwelt leid“, sagt seine Frau. In einem Brief an Verkehrsminister Manfred Stolpe hat Mieroph seine Überlegungen gegen das drei bis fünf Milliarden Euro teure Verkehrsprojekt Nr. 17 zusammengefasst. Leuchtend Gelb hat er einen seiner Sätze markiert: „Man könnte für die Kosten rund 150000 bis 250000 Arbeitsplätze neu schaffen.“ Mieroph könnte einen dieser Arbeitsplätze gebrauchen, er ist arbeitslos. Für den Potsdamer ist seine Ausbau-Gegnerschaft aber auch eine Frage der Überlegung: Der künftige Schiffsverkehr nach und von Osteuropa wird Berlin umfahren, über den Oder-Havel-Kanal, meint er. „Wer von Dresden nach Rostock will, fährt ja auch nicht Schönefeld ab und durch die Stadt, sondern nimmt den Ring außen rum“. Und die Tonnagen aus und von Berlin? Mehr als zu Zeiten des Kalten Krieges, als Westberlin eine Insel im sozialistischen Meer war, die per Schiff versorgt wurde, werde es wohl nie mehr werden. Wozu also der Kanalausbau? Zumal große Pötte schon jetzt fahren könnten, bis auf die Brücke über die B273 seien alle Kanalübergänge angehoben worden. Einmal, da lag das Fahrgastschiff „Cecilienhof“ gegenüber an der Anlegestelle zum Marquardter Park und gleichzeitig kamen zwei große Frachter, einer von links, einer von rechts. Mieroph wurde Zeuge einer einzigartigen Begegnung auf dem Kanal: „Drei über 1000 Tonnen schwere Schiffe lagen auf einer Höhe, haben aneinander vorbei gepasst“. Wozu also der Ausbau? Mieroph hofft, dass die Havelausbau-Pläne enden werden wie das Schwebebahn-Projekt Transrapid zwischen Berlin und Hamburg. „Aber es dauerte auch beim Transrapid lange, ehe das Umdenken begann.“ Mit Wehmut denkt Mieroph an die Milliarden, die bereits im Elbe- und Havel-Ausbau versenkt wurden. Von 100 Schiffen, die über die gigantische neue Trogbrücke bei Magdeburg Richtung Osten fahren, müssen 90 an der Steifen Brise vorbei kommen. Mieroph: „Wo sind sie? Ich sehe sie nicht.“

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