zum Hauptinhalt

WENDLANDS Sicht: Der Frühling

Heute hätte mein Vater Geburtstag. Am 17.

Stand:

Heute hätte mein Vater Geburtstag. Am 17. März. Es war für uns stets auch der Beginn des Frühlings. Die Schneeglöckchen blühen, die ersten Krokusse und Scilla zeigen sich, der kleine, sehr frühe, gelbe Winterling ist schon vorbei. Der Frühling war immer auch Aufbruch, Hoffnung. Und daran hat sich nichts geändert, für mich nicht und nicht für die anderen Menschen. Irgendwie beruhigend, dass der Jahresablauf uns noch genauso prägt wie unsere Eltern, Großeltern und die Generationen davor. Auch für unsere Kinder und Enkel ist es noch so. Bei allen technischen Errungenschafen: Wir fliegen im Winter in den Sommer, heizen, essen jedes Obst zu jeder Jahreszeit, bräunen künstlich, pflanzen Tulpen, Narzissen und Hyazinthen, wann immer wir wollen. Und doch: Gegen den echten Frühling ist das alles nichts. Alles andere ist Ersatz und das spüren wir ganz besonders jetzt im Frühling, wenn sich die ersten Knospen zeigen, die Luft ungewöhnlich mild ist und es nach Frühling riecht. Und auch die Begrifflichkeiten, die Poesie zum Frühling ist geblieben, alle Welt atmet auf und durch, Frühlingserwachen allerorten. Wir sind eben doch Bestandteil der Natur.

Und so hoffe ich, dass wir in Potsdam auch einen frühlingshaften Aufschwung für die verschiedenen Projekte erleben, verkrustete Strukturen und Grabenkämpfe aufbrechen. Ein Erwachen wünsche ich mir. In „Deutschland, ein Wintermärchen“ kritisierte Heinrich Heine seinerzeit heftig die politischen Verhältnisse in Deutschland. Ja, wir haben Goethes Osterspaziergang in der Literatur, aber was ist das gegen den „Prager Frühling“ – und auch die Araber haben seit Dezember 2010 ihren „Arabischen Frühling“. Und wenn ich so schreibe, überlege ich ernsthaft, warum unsere wichtigen historischen Daten immer im November stattfanden – doch halt, wir hatten ja immerhin 1848 eine Märzrevolution. Aber einen Frühling hatten wir in der Politik nicht.

Aber vielleicht ist das ja auch so, weil der Frühling bei uns so schön ist, dass wir uns nicht wirklich mit Politik und anderen unangenehmen Dingen beschäftigen wollen. Die Politik kann warten, der Garten nicht. Hier ist jetzt richtig viel zu tun, und ich freue mich darauf. Heute noch werde ich mit meiner Frau den Garten aufräumen, das ist sinnvoll und ein Aufbruch in die geliebten Gartenrunden – komisch, das Wort Aufbruch hat es in Deutschland auch nicht in ein historisch politisches Ereignis geschafft. Aber genug, der Garten ruft, die Vögel zwitschern, die Gartengeräte und Gartenmöbel müssen ins Freie. Und zum Grab vom Vater wollen wir auch noch, schauen wie weit die Tulpen schon das Grün rausstrecken. Und erzählen, dass der Frühling beginnt, denn heute hätte mein Vater Geburtstag

Unser Autor lebt seit 1945 in Potsdam. Er studierte in Berlin und Dresden und ist seit 1968 als Architekt in Potsdam tätig.

Christian Wendland

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })