
© Archiv Oberlinhaus/Manfred Thomas
Von Peer Straube: Der gute Geist von Oberlin
Diakonissen sind die Pioniere Oberlins. Diakonische Schwestern ihre legitimen Nachfolger. Doch auch sie gibt es nicht mehr
Stand:
babelsberg - Der Unterschied ist augenfällig. Graue Tracht, weiße Haube bei der einen, „zivile“ Kluft mit Rock und rotem Pullover bei der anderen.
28 Jahre trennen die Diakonisse Charlotte Lange und die diakonische Schwester Barbara Kühne. 98 Jahre ist Lange, Kühne zählt 70. Doch es ist mehr als die eine Generation, die beide trennt. Es ist der Dreiklang. „Diakonissen“, sagt Schwester Kühne, „leben in einer Glaubensgemeinschaft, einer Dienstgemeinschaft und einer Lebensgemeinschaft. Bei uns diakonischen Schwestern fällt die letztere weg.“ Armut, Keuschheit und Gehorsam – nach diesen Ordensregeln leben Diakonissen. Es ist ein klösterliches Dasein.
Das Mutterhaus sorgt für Verpflegung und Unterkunft, Bezahlung gibt es nicht, nur ein Taschengeld. Die Sicherung des Lebensunterhalts war für viele junge Frauen um die Jahrhundertwende ein Beweggrund, Diakonisse zu werden. Und die Religion. Sie sei in einem Junge-Mädchen-Kreis gewesen, erzählt Charlotte Lange. „Daher hatte ich den Wunsch, meinem Heiland zu dienen.“ Wie kann man das besser, als Menschen zu helfen. 1935 fing die gebürtige Berlinerin im Oberlinhaus an. Dort wurde sie zur Krankenschwester ausgebildet. Krankenpflege und Seelsorge bestimmten fortan ihr Leben. Ein erfülltes. 365 Diakonissen arbeiteten in den 30er Jahren für den Oberlin-Verein. Ohne sie wäre die Einrichtung in ihrer heutigen Form undenkbar. Doch schon 1939 wurde eine neue Form geboren: die diakonische Schwester. Adolf Hitler, sagt Barbara Kühne, habe damals alle nichtorganisierten Schwestern zu „braunen Schwestern“ machen wollen. Eine couragierte Frau hat das verhindert. Sie schuf für alle freiberuflichen Schwestern den kirchlichen Schutzmantel der diakonischen Schwester. Im Dienst und Glauben den Diakonissen gleich, mussten sie ihr Leben jedoch nicht unter ihresgleichen verbringen. Sie durften heiraten und wohnen, wo sie wollten. Auch auf die Tracht wurde verzichtet. „Die diakonische Schwesternschaft ist eine zivile Schwesternschaft“, sagt Barbara Kühne. Der Zeitgeist hatte sich geändert. Die Diakonisse im klassischen Sinn wurde zum Anachronismus.
Im Oberlin-Verein gibt es 1950 nur noch 220 Diakonissen, die letzten wurden 1972 eingesegnet. Zu diesem Zeitpunkt ist Barbara Kühne bereits seit vier Jahren in Babelsberg. Als kirchliche Jugendleiterin der Gemeinde hat sie dafür zu sorgen, dass die 22 Mädchen und 33 Jungen der beiden nach Geschlechtern getrennten Internate hübsch sittsam bleiben. „Sie sollten sich nicht zu sehr auf der Gartenbank abknutschen“, schmunzelt Kühne. Es ist eine Arbeit, die ihr nicht gefällt. Diakonische Schwester wird Kühne eher zufällig. Es fehlt an Nachwuchs. 14 alte diakonische Schwestern gibt es Anfang der 70er Jahre. Ein „Werbefeldzug“ wird gestartet, mit mäßigem Erfolg. „Ich habe gesagt, wenn sich eine Gruppe findet, mache ich mit“, sagt Kühne. Sechs kommen zusammen. „Da hat’s mich dann auch erwischt.“
Doch die Arbeit macht ihr Spaß. 1978 macht man sie zur Chefin der Klinikaufnahme. Überhaupt sind die Aufgaben der diakonischen Schwestern vielfältig. Apothekerin, Büroarbeit, Seelsorge, Krankenpflege. „Wir waren das Bindeglied zwischen Diakonissen und den anderen Mitarbeitern des Oberlin-Vereins.“ Das Haus „im positiven, geistlichen Sinne“ mittragen, gehöre dazu, betont Kühne.
Als einzige ehemalige Mitarbeiterin hat sie auf dem Oberlin-Gelände eine eigene Wohnung. Seit 40 Jahren schon. Ehrenamtlich hilft sie auch heute noch gerne mit. „Oberlin ist mein Zuhause.“ Aktive diakonische Schwestern gibt es heute keine mehr. Die letzte ging vor zwei Jahren in den Ruhestand. Und so haben die Diakonissen doch den längeren Atem gehabt. Eine einzige verrichtet noch aktiven Dienst.
Aus dem ist Charlotte Lange schon lange heraus. Seit 16 Jahren lebt sie im Oberlin-Feierabendheim. Trotz ihres hohen Alters geht sie heute noch gerne im Park spazieren. Beide – Lange und Kühne – haben Oberlin ihr Leben gewidmet. Sorgen um die Zukunft macht sich Kühne nicht. „Wir haben eine engagierte und kirchlich geprägte Mitarbeiterschaft.“ Noch heute würden jedem neu Eingestellten Tradition, Geschichte und Werte der Arbeit der Diakonissen und diakonischen Schwestern nahegebracht. Geprägt haben beide die Einrichtung. Sie sind der gute Geist von Oberlin.
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