
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Der Herr der sieben Meere
Der Potsdamer Martin Papke ist Kapitän der Handelsmarine. Seit ein paar Tagen ist er wieder auf See
Stand:
Ein dekorativer Schiffskompass? Fehlanzeige. Auch kein altes Steuerrad. Nicht mal ein Modell einer dieser historischen Fregatten, die sich Liebhaber alles Nautischen so gern in Flaschen aufs Regal stellen. Wäre da nicht der Kalender mit Fotos von Segelbooten im Flur, nichts deutete darauf hin, dass in dieser Wohnung ein Seemann wohnt.
Martin Papke ist nicht nur Seemann, er ist Kapitän der Handelsmarine. Er steht auf der Brücke von Containerschiffen einer großen Hamburger Reederei. Papke ist einer der wenigen Potsdamer, die die Weltmeere als Kapitän großer Frachtschiffe befahren. Zehn Reisen hat der 41-Jährige bereits hinter sich, drei davon als Kapitän. Erstaunlich ist weniger, dass er sich für ein Leben auf See entschieden hat, sondern vielmehr, dass es relativ spät begann. Denn Papke hat die Seeluft schon als Kind geatmet, wenn es auch nur die von Binnenseen war. Noch heute ist er Mitglied im Potsdamer Seglerverein auf Hermannswerder. Doch zu DDR-Zeiten „wurde mir eine Karriere in der Handelsmarine massiv ausgeredet“, erzählt Papke. Nicht zuletzt wegen politischer Unbotmäßigkeit. Also lernte er einen Elektronikberuf, begann nach der Wende ein Jurastudium an der Universität Potsdam. Spaß hatte er daran nicht.
Papkes Chance kam, als wegen zunehmender Nachwuchsprobleme die Bestimmungen für ein Studium in der Nautik geändert wurden. Einen Seemannsberuf musste man nun nicht mehr als Voraussetzung erlernt haben. Papke bewarb sich und wurde genommen. Und er hatte Glück. Gleich sein erstes Semester verbrachte der junge Mann 2001 mit einer Atlantiküberquerung. Von Liverpool nach Philadelphia. „Wettermäßig“, sagt er heute, „ist es das härteste, was man sich vorstellen kann“. Es sei „spannend“ gewesen, als „Greenhorn in den Gewässern zu fahren, in denen das mit der ,Titanic’ passiert ist“. Nun, Eisberge bekam Papke zwar nicht zu sehen, dafür aber einen Einblick in alle Stationen des Bordlebens: Brückendienst, Ausguck, Wartungsarbeiten an der Maschine. Und natürlich das legendäre „Deckschrubben“.
Nach dem Studium trat Papke seine erste Fahrt als Diplomingenieur (FH) für Seeverkehr – so die offizielle Bezeichnung – als dritter Offizier bei jener Reederei an, bei der er schon das Praktikum absolviert hatte. Schon die zweite Reise machte er als zweiter Offizier, auf der nächsten wurde er bereits zum ersten Offizier befördert – „weil ich mich nicht besonders dusselig angestellt habe“, erzählt Papke augenzwinkernd.
Seine Routen bestimmt, wer die Schiffe chartert. In Asien, Afrika, Nord- und Südamerika haben Papke und seine jeweilige Crew inzwischen mehrfach Fracht umgeschlagen. Was in den Containern ist, weiß nicht mal der Kapitän. Nur bei verderblicher Ware wird die Crew informiert, damit sie zum Beispiel die Kühlung überprüfen kann.
Australien fehlt noch in Papkes Sammlung. „Das würde ich schon gerne mal machen.“ Die Crew besteht meistens aus Philippinos, die Offiziere kommen aus aller Herren Länder, oft sind es Rumänen, Bulgaren oder Ukrainer. Das liege schlicht daran, „dass Osteuropa keine eigenen Flotten mehr hat“, sagt Papke. Westeuropäische Offiziere führen dementsprechend eher für die Reedereien ihrer Heimatländer.
Der Bordalltag eines Containerschiffkapitäns ist von Routine geprägt. Besprechungen, Positionsbestimmungen, Berechnungen. Und Sicherheitstraining. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 haben die USA durchgesetzt, dass die Mannschaften der Schiffsbesatzungen auf den Weltmeeren auf Terrorismus reagieren können und zum Beispiel in der Lage sein müssen, das Schiff binnen kürzester Zeit nach Bomben zu durchsuchen. Um der zunehmenden Piraterie – vor allem an der Küste Somalias – zu begegnen, verfügen die meisten Schiffe inzwischen über sogenannte Zitadellen. Diese weitgehend einbruchssicheren Noträume verfügen über Lebensmittelvorräte, Wasser, Liegen und UKW-Sprechfunk und sollen die Crew bei einem Angriff schützen, bis militärische Hilfe eintrifft. Da das nicht immer gelingt, fahren die Reedereien inzwischen buchstäblich größere Geschütze auf. Auch Papke wird auf seiner nächsten Fahrt, die vor wenigen Tagen in Singapur begonnen hat und am Horn von Afrika vorbei bis nach Tansania führt, Gesellschaft haben. Von zwei bewaffneten Profis, Söldnern. Sie sollen bei etwaigen Angriffen vor der somalischen Küste die Piraten in Schach halten. Und sie sollen die Crew zusätzlich auf die Abwehr solcher Attacken trainieren.
Hört und sieht man ihm zu, kann man sich kaum vorstellen, dass selbst Piraten Martin Papkes Puls wesentlich nach oben schnellen lassen. Er strahlt jene souveräne Ruhe aus, die sowohl Autorität als auch die Besonnenheit vermittelt, in kritischen Lagen ruhig Blut zu bewahren. Wer vier oder fünf Monate auf See ist, muss den Lagerkoller vermeiden. Einmal im Monat, erzählt der Kapitän, richte er für die Mannschaft ein Grillfest aus. Alkohol ist an Bord zwar nicht tabu, wird aber nur in Maßen genossen, gewöhnlich sonntags. Ansonsten stehen zur Ablenkung Sport- und Gemeinschaftsräume zur Verfügung, Fernseher und DVD-Spieler.
Papke ist Perfektionist. Es ärgert ihn, wie andere Länder mit ihren Flotten umgehen. „Einmal“, sagt er, „wurden wir in der Ostsee von einem russischen Schiff angefunkt. Die baten uns, nicht so schnell zu fahren, damit sie uns folgen könnten. Ihr Kartenmaterial sei nicht so gut.“ Seemanns Braut ist die See. Dieses alte Klischee stimmt auch heute noch. Denn familienfreundlich ist es nicht, wenn man zwei Drittel des Jahres unterwegs ist. „In den ersten Jahren habe ich das als unproblematisch empfunden“, sinniert Papke. „Heute fällt mir das schwerer.“ Seine Freundin, seine Freunde und seine Familie fehlen ihm mittlerweile häufig. „Das gesellschaftliche Leben zu Hause entwickelt sich, ohne dass ich dabei bin.“
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