
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Der Hinzenberg bleibt
Studenten haben Potsdams älteste Gartensparte überplant. Der Verband droht: „Das passiert nicht!“
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„Den Floh“, sagt die Frau und schaut dabei ihrem Gegenüber spitz ins Auge, „den da oben jemand im Ohr hat, den sollte man wieder freilassen!“ Die Kleingärtnerin der Sparte Hinzenberg erklärt unmissverständlich: Wenn die Gärten wegsollen, „dann gehen die Leute auf die Barrikaden“. Als wenn sie ihren Worten Nachdruck verleihen wollte, zerteilt sie die Kohlrabi-Staude, die sie gerade aus der Muttererde gezogen hat, mit einem schnellen scharfen Schnitt. Ratsch, Rübe ab, könnte man sagen. Auch Friedrich Niehaus, Geschäftsführer des Verbandes der Garten- und Siedlerfreunde (VGS), will in diesem Punkt nicht missverstanden werden: „Die Partei, die das vorhat, die kann sich abmelden. Dann brennen hier die Laternen!“
Der Floh im Ohr „von denen da oben“stammt von Architekturstudenten, die am diesjährigen Schinkel-Wettbewerb des Architekten- und Ingenieurvereins (AIV) Berlin teilnahmen. Auf „beachtenswertem Niveau“ hätten sich die Teilnehmer „ Gedanken über Entwicklungsoptionen beiderseits der Havel zwischen Humboldtbrücke und Templiner See gemacht“, teilte die Stadt den PNN mit. Unbekümmert haben die angehenden Architekten und Stadtplaner mal eben Potsdams älteste, über hundertjährige Kleingartensparte „Hinzenberg“ überplant und diese zentrale Fläche einer baulichen Entwicklung zugeführt. Wie Stadtsprecherin Regina Thielemann den PNN mitteilte, sei dies „städtebaulich durchaus nachvollziehbar“. Mehr als diese Vorschläge seien derzeit aber nicht bekannt oder aktuell.
Bekannt ist freilich, was der Verkauf der 80 Hinzenberg-Parzellen in Top-Innenstadt wie auch Top-Wasserlage einbringen würde. Auf der anderen Havelseite erzielte die städtische Pro Potsdam GmbH vierstellige Quadratmeterpreise. Bei einer Pressekonferenz zum Baustart im mittleren Speicherstadt-Teil stand Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) höchstpersönlich vor einer Innenstadt-Karte und zeigte vielsagend auf die kleine Halbinsel zwischen Bahndamm und Havel, wo Potsdamer schon zu Kaiserzeiten ihr Gemüse anbauten und alle viere gerade sein ließen. Kein Wunder, dass der Hinzenberg Begehrlichkeiten weckt: Einen Teil des Stadthaushalts deckt Potsdam jährlich aus Flächenverkäufen. Zudem müssen jährlich 1000 neue Wohnungen entstehen, will die Stadt die Wohnungsnachfrage einigermaßen meistern. Potsdams Baubeigeordneter Matthias Klipp (Bündnisgrüne) hat erst jüngst auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Wohnen erklärt, dass Kleingärten in Innenstadtlage für ihn nicht die adäquate Nutzung darstellen. Unlängst hatte Klipp mit Äußerungen wie dieser sogar Demonstrationen der Kleingärtner vor dem Stadthaus provoziert. Verbandschef Niehaus gibt sich kämpferisch: „Den Hinzenberg überplant niemand. Das passiert nicht.“ Die Kleingartensparte Hinzenberg gehört für Niehaus „zu Potsdam wie das Stadtschloss oder die Garnisonkirche“.
Vor Ort herrschte am Dienstag Ruhe und Friedlichkeit. Kaum jemand ist da, es ist schließlich ein Arbeitstag. Die kleinen Gärten sind mit viel Liebe und Kreativität gestaltet. In einem kleinen Teich schwimmen rote Zierfische, eine gusseiserne Nixe badet ihre Flosse im Wasser, auf einer Miniaturholzbrücke sonnen sich Plastikfrösche. Ein Ehepaar, das gerade sein Grundstück betritt, glaubt nicht, dass es irgendjemand wagen wird, die Sparte tilgen zu wollen. Erst vor ein paar Jahren habe sie ihr hundertjähriges Bestehen gefeiert. Die Bewohner pflegten in Absprache mit der Stadt das nahe Ufergelände, erst am vergangenen Wochenende sei in der nahen Hinzenbergklause – „Restaurant & Café seit 1912“ – ein für jeden zugängliches Sommerfest gefeiert worden. Andererseits, sagt der Mann nachdenklich: „Wenn ein Reicher kommt, der hier bauen möchte, hilft uns der Oberbürgermeister auch nicht.“
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