zum Hauptinhalt

Aus dem GERICHTSSAAL: „Der Hitlergruß ist mir rausgerutscht!“

Anklage: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

Stand:

Aus dem GERICHTSSAALAnklage: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Von Gabriele Hohenstein „Frau Richterin, ick bin wirklich kein Rechter. Det müssen Sie mir glauben“, beteuert Ben B.* (25) „Der Hitlergruß ist mir so rausjerutscht. Ick muss wohl wat am Kopp jehabt haben.“ Der Staatsanwalt wirft dem Arbeitslosen vor, am 11. Dezember vorigen Jahres „wiederholt und für alle sichtbar dieses Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ in den Bahnhofspassagen verwendet zu haben. „Ick war in betrunkenem Zustand. Da habe ick aus Versehen den rechten Arm jehoben, aber nur einmal.“ Amtsrichterin Waltraud Heep erklärt trocken: „Das ist das gleiche, kostet auch genau so viel.“ Dann fragt sie den Schluckspecht: „Sagen Sie mal, haben Sie heute auch zu tief ins Glas geschaut?“ Ben B. ist empört. Schließlich halte er sich an die Auflage seines letzten Urteils und absolviere eine Alkoholentwöhnungs-Therapie, versichert er. Einmal pro Woche tauche er bei der Ärztin auf. „Ick rede dann mit die Frau. Ick mache auch Antiaggressionstraining. Mein Bewährungshelfer meint, das reicht.“ Zum letzten Mal habe er am Männertag einen über den Durst getrunken, gesteht der Ungelernte. Er sei nämlich inzwischen verlobt, wolle jetzt ein ganz normales Leben führen. Das freut das Gericht, dennoch ist ein Exkurs in die Vergangenheit des u. a. wegen Beleidigung, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Verwendens des Hitlergrußes sowie Bedrohung Vorbestraften nötig. Laut Aktenlage wurde Ben B. am 29. März 2003 aus der Strafhaft entlassen. „Das hat Ihnen offensichtlich nicht gereicht. Nur neun Monate später fallen Sie erneut aus der Rolle“, gibt Richterin Heep zu bedenken. Die als Zeugen geladenen Bundesgrenzschutz-Beamten – sie nahmen den mit 1,3 Promille mäßig Betrunkenen fest – erinnern sich: „Der Angeklagte war noch straßentauglich. Ich glaube, er wusste, was er tat“, mutmaßt Karl-Heinz K. (53). Sein Kollege Michael K. ergänzt: „Der Mann hob plötzlich den rechten Arm und rief „Heil!“ Er war ganz schön erschrocken, als ich auf ihn zutrat und seine Personalien feststellen wollte.“ Nein, auf sich bezogen habe er die verbotene Grußformel nicht, so der Polizist. „Sein Geständnis ist das einzige, was man dem Angeklagten zugute halten kann“, grollt der Staatsanwalt und beantragt neun Monate Haft. Die Vorsitzende sieht allerdings „ein paar Lichtblicke“ und hofft, dass die Verlobte Ben B. künftig „an die Leine nimmt“. Das Urteil: Sechs Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zu dreijähriger Bewährung. (*Name von der Redaktion geändert.)

Gabriele Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })