zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: „Der ist ein ganz Lieber“

Mit Charme und Schutzhelm: Auf Streife mit der neuen Potsdamer Fahrradpolizei

Stand:

Mit Charme und Schutzhelm: Auf Streife mit der neuen Potsdamer Fahrradpolizei Von Guido Berg „Hey“, lässt es Jens Nagler über die Dortustraße gellen. Ein junger Biker kachelt gerade über den Fußgänger-Überweg. Die Ampel zeigt ihr rotes Männchen. Als ihn der Schall erreicht und er den autoritären Unterton vernimmt, bremst er ab, sieht sich mit großen Augen um. Seine Mimik verrät einen unausgesprochen Satz: „Wer wagt es ?“. „Die Polizei“, stellt sich der Rufer vor – und lässt es bei einer Ermahnung. Fünf Euro Strafe, da wäre der Verwaltungsaufwand zu hoch, erklärt Polizeikommissar Yves Rentsch. Er und Jens Nagler schieben Dienst, wenn sie mit ihren Rädern durch Potsdams Straßen fahren. Genauso wie Frank Böttger, der Chef der neuen Fahrradstreife. Er war vorher beim Landeskriminalamt und ist Kriminaloberkommissar. Bianca Martins, die Vierte im Bunde, hat einen freien Tag. Ein grüner VW-Transporter aus Märkisch-Oderland rollt durch die Fußgänger-Zone in der Dortustraße, direkt vor die Speichen des Trios in den grünen Overalls. „Wir haben es ganz doll eilig“, sagt die Fahrerin freundlich, ihre Beifahrerin schnallt sich schnell an. Yves Rentsch kassiert an der herunter gelassenen Fensterscheibe 15Euro und überreicht die Quittung. „Ich hab’ gedacht, das sind lustige Radfahrer“, erklärt die Fahrerin ihre Ordnungswidrigkeit direkt vor den Augen der Ordnungshüter und will wissen, ob sie jetzt die Straße bis zur nächsten Ecke weiter fahren kann. „Sie haben bezahlt, jetzt dürfen sie auch fahren.“ „Das ist aber ein ganz Lieber“, flötet sie engelsartig und entschwindet gasgebend. „Das waren zwei Verstöße. Da sie nett und einsichtig waren, hab’ ich nur den geringeren geahndet“, erklärt der Polizist. Es soll kein sinnloses Geld aus den Taschen der Leute ziehen sein, „wir wollen in den Kopf der Bürger reinkommen“. Seine Kollegen haben derweil die Ecke Dortu-/Brandenburger Straße zur Bußgeld-Stelle umfunktioniert. Ohne zu drängeln stellen sich die Fahrzeuge ans „Stauende“ an, um die Brandenburger zu überqueren – was aber nicht erlaubt ist. Die Fahrer begreifen die Situation in dem Augenblick, in dem sie den Schriftzug „Polizei“ auf der Fahrraduniform lesen. „Pech gehabt“ sagt der Fahrer eines Opel-Zafira lapidar. 30Euro findet er als Strafe aber ganz „schön happig“. 15 Euro sind für das Fahren in der Fußgänger-Zone und 15 Euro für den nichtangelegten Gurt, wird ihm erklärt. Innerhalb von sieben Tagen einzuzahlen. In knapp zwei Wochen hat Potsdams Fahrradstreife 1750 Euro Bußgelder eingenommen. „Eine Fahrrad-Ausstattung für uns ist damit schon abbezahlt“, sagt Frank Böttger. Auf dem Boulevard müssen die Polizisten ihre Fahrräder schieben, wie alle anderen auch. Eine Radlerin tritt gemütlich in die Pedalen, ihr Hund läuft unangeleint neben ihr her. Das sind zwei Verfehlungen, für eine bittet Yves Rentsch zur Kasse. „Drei Uniformierte kommen gleichzeitig auf mich zu. Ich finde das bedrohlich“, kommentiert sie den Vorgang unamüsiert. „50 Prozent Rabatt – bei mir hat sie ihn gekriegt“, sagt Rentsch später. Ein junger Biker hat da mal eine Frage: „Hab’ gelesen, ihr könnt 40 Sachen damit fahr’n.“ Er deutet auf die Dienst-Räder der Marke „Bulls“. „Wollen wir das mal ausprobieren?“ Er fordert zu einer Wettfahrt heraus. „Mal eine andere Frage: Wo ist das Licht, wo sind die Reflektoren?“ „Keine Panik, ich schiebe ja gerade zum nächsten Fahrradladen“, sagt er und schiebt wirklich ab. „Das war eine Hammerausrede!“, muss Yves Rentsch anerkennen. „Aber schnell sind wir wirklich“, meint Jens Nagler, „erst auf der Autobahn haben wir Probleme.“ Es geht weiter in Richtung Brandenburger Tor. Jens Nagler dreht sich plötzlich um und hebt warnend die Hand. Eine junge Golf-Fahrerin will hinter den Polizisten über die Brandenburger fahren. Doch dann stoppt sie, schlägt die Augen nieder, Nagler, der Jüngste unter den Vieren, schmunzelt, sie schmunzelt auch und stößt einsichtig rückwärts in die Querstraße zurück. Charme, meint der gut aussehende Polizist, kann schon eine Rolle spielen, „aber es ist nicht so, dass uns hier von den Damen unter Dreißig nur so die Telefonnummern zufliegen“. Dennoch: Im Moment könnte der Eindruck entstehen, Fahrrad-Polizist zu sein mache Spaß. Die Sonne lacht, die Verkehrssünderinnen zumeist auch. Ein Laster hält vor einem Geschäft. „Bei Lieferwagen drücken wir meist ein Auge zu, selbst wenn sie nach elf Uhr auf der Brandenburger sind“, erklärt Frank Böttger. Da hängen Existenzen dran, die vom Ladenbesitzer und die vom Lieferanten. Der Fahrer hat die Polizisten erkannt, er rennt den Beamten entgegen, zeigt immer wieder zum Laden am Lindenhof. „Diebstahl“, ruft er, „die sind nicht weit, ihr kriegt sie noch, so Typen mit Hut, leicht zu erkennen.“ Die Polizisten setzen sofort nach. Keine 50 Meter weiter entdecken sie die trefflich Beschriebenen. Unter lautem Gezeter führen sie die Verdächtigen zum bestohlenen Geschäft zurück. Die beiden Männer und die Frau ähneln einander. In ihren Hüten stecken Federn und Plastik-Schmuck, sie haben Ketten und Armbänder um Hals und Arm, ihr Atem riecht nach Alkohol. Die Frau hat den Plüschteddy aus den Auslagen des eines Geschäfts an eine Schnur gefädelt und um den Hals gehängt, ebenso den Papierblumenstrauß aus einem anderen Geschäft. Dessen Inhaber erfährt erst von den Beamten, dass er bestohlen worden ist. Nein, solch einen Strauß hat er heute noch nicht verkauft und nachgezählt stellt sich heraus, es fehlt einer. „Ick komm vom Sozialamt, ick brauch nicht zu klauen“, fährt die Beschuldigte die Polizisten an. Ihre raue Gesichtshaut färbt sich rot. Eine Unterstellung sei das, wenn sie gewusst hätte, dass sie als Unschuldige in der Weise, wie jetzt geschehen, an diesem Tag belästigt würde, wäre sie doch zur Arbeit gegangen. Einer der Männer wankt bedenklich, er ist „auf Besuch in Potsdam“. „Wie dein’ Name is, hab’ ick gefragt, ick will dein’ Name wissen“, insistiert die Frau in Jeans. „Rentsch“, sagt Yves Rentsch, doch die Frau versteht nicht und droht Beschwerden an und böse Artikel in der Presse und das man sich an anderer Stelle wieder sieht. „Am helllichten Tag Leute belästigen und nachts traut er sich nich’ raus“, fügt sie hinzu. „Wenn ich heute Nachtdienst machen würde, hätten wir uns ja jetzt hier nicht getroffen“, entgegnet Yves Rentsch in einer Weise, die offen lässt, ob er die Bekanntschaft bedauert oder nicht. Ruhig kontrolliert er die Ausweise. Aus der Hosentasche eines der Delinquenten lugt der Hals einer Bierflasche hervor. „Jetzt bräuchte ick Benzin und ’nen Lappen“, sagt er in Anspielung auf eine mögliche Verwendung der Halbliterflasche als Molotow-Cocktail. Yves Rentsch zieht sich zurück und überprüft via Funk die Personalien, Frank Böttcher und Jens Nagler halten die Diebe, die keine sein wollen, auf Distanz zu den Werbeschildern, die sie ab und an mit Tritten bedenken. Rentsch kommt zurück, sofort wird er wieder angegangen: „Wir haben noch nie geklaut“, ruft der mit dem Oberlippenbart. Sie glauben in Rentsch den Richtigen gefunden zu haben. Der 31-Jährige hat einiges gesehen in seiner Laufbahn. Zu vielen tödlichen Verkehrsunfällen ist er geeilt, Jahre zuvor, im Funkwagen. Das hat ihm nichts ausgemacht, sagt er. Für die Flapsigkeiten der Frühschoppen- Gang ist er gewappnet. „Was ist mit dem Einbruchsdiebstahl?“, fragt er und erzielt Verblüffung. „Sie sind ja rumgekommen im Leben, Moabit, Plötzensee ...“ Es geht nicht um schöne Ecken in Berlin, sondern um Justizvollzugsanstalten. Ein Polizeiwagen hält. Jetzt wird gepustet. Der Frau fehlt die Kraft. Das Testgerät muss, während die Luft hinein gepustet wird, einen langen Piep-Ton von sich geben. Es macht aber nur Piep, Piep – die Frau setzt immer wieder ab, um Luft zu schöpfen. Die Messung kommt nicht zustande. Bei dem mit dem Oberlippenbart sind es 1,17 Promille, bei dem mit der Bierflasche, der seine „6,5 Liter Lungenvolumen“ anpreist, 2,52 Promille. „Ditt is wohl von gestern noch drinne“, meint sie mit Bewunderung. Als hätte er seine persönliche Bestmarke übertroffen. Die Gefassten dürfen weiter ziehen. Sie bekommen eine Anzeige. Selbst der Diebstahl von Stoffteddys und Papierblumen ist eine Straftat. Eine Bestrafung ist aber unwahrscheinlich. Der Wert des Diebesgutes von 25 Euro ist zu gering. Auch wirkt sich „Restblut im Alkohol“ strafmildernd aus, so Yves Rentsch. Die Pedal-Polizisten verlassen nun den Boulevard. Auf dem Luisenplatz satteln sie auf. Am Grünen Gitter entlang radeln sie in den Park Sanssouci. Malerisch, ihr Arbeitsplatz hier. In der vergangenen Woche erreichte sie in den Gärten ein Notruf aus der Zentrale: Verdacht auf ein Sexualdelikt. Er stellte sich als falsch heraus. Aber sie waren noch vor dem ersten Funkwagen zur Stelle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })