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Homepage: Der Kaffee, die Dinge und die Historie

Das Historische Quartett des Zentrums für Zeithistorische Forschung diskutiert neue Bücher der Zeitgeschichte

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Der Wandel der Zeiten verändert auch den Blick auf die Dinge. Wie abhängig der Blick des Menschen von den Zeitläufen ist, zeigte sich in der Diskussion des Historischen Quartetts des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF). Drei Bücher und eine Ausstellung haben die vier Wissenschaftler des ZZF kritisch beleuchtet. Es ging um die Dinge, den Kaffee und die Historie.

Über das an sich wenig spektakuläre Alltagsgetränk Kaffee entfaltet die Historikerin Monika Sigmund eine Kulturgeschichte der Nachkriegszeit. Besonders knapp waren Bohnen und Getränk unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland. Spektakuläre Schmuggelaktionen über die innerdeutsche Grenze hatten gelegentlich auch Tote zur Folge. Einige der Schmuggler und auch manche Grenzregion profitierten erheblich vom Mangel in der Ostzone. Die Verflechtungsgeschichte von Ost und West lasse sich gut am Beispiel des Kaffee aufzeigen, meint Frank Bösch, Co-Direktor des ZZF. Als 1977 die Preise für Kaffee im Westen stiegen, wurde im Osten die preiswerte Variante des Getränks gleich ganz vom Markt genommen. Das führte zu heftigen Protesten. Die Werktätigen fragten bei der Parteileitung an, wie sie denn die Normen der eng getakteten Produktionspläne ohne den Wachmacher Kaffee überhaupt durchhalten sollten. Da sei aus einem Promotionsvorhaben ein feines, gut lesbares Buch geworden, resümieren die versammelten Fachwissenschaftler.

Weit weniger überzeugend sei der Versuch eines Rundumschlages über „Das verzehrende Leben der Dinge“ ausgefallen, den der 1941 geborene Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch gestartet hat. „Wenn so ein Alterswerk aussieht, dann sollte man lieber mit 60 aufhören zu schreiben“, findet Annette Vowinckel. Der Autor zitiere viele „tote weiße Männer“, aber so wichtige Positionen wie die Hannah Arendts würden fehlen. Unterscheidungen zwischen den Dingen, die für den schnellen Konsum bestimmt seien, wie beispielsweise Nahrung und Kleidung und denen, die länger währen sollten wie beispielsweise Möbeln, fänden sich ebenfalls nicht. Schwer lesbar sei das Buch zudem. Die Produktion von immer mehr immer beliebigeren Gütern führe letztlich zu einer Seelenlosigkeit der hergestellten Objekte, sei die Ausgangsthese Schivelbuschs. Der Mensch gerate in eine Abhängigkeit von den Dingen. Diese „Niedergangsthese“ sei ja vielleicht noch nachvollziehbar, aber letztlich sei das Buch doch „bildungsbürgerliches Geschwätz“, meint Annette Vowinckel. Erheblich überzeugender fanden die Rezensenten „45. Die Welt am Wendepunkt“ von Ian Buruma. Dem Autor sei ein schlüssiges Panorama des Jahres 1945 gelungen, indem er kaleidoskopartig aus verschiedenen Ländern der Erde berichte. Letztlich bestimmten vulgärpsychologische Grundmotive wie Hunger, Vergeltung, Nahrungssuche und Sex die Gliederung des Buches, behauptet Rüdiger Graf. Aber das störe nicht weiter, denn der Autor berichte detailreich und trotzdem schlüssig. Überhaupt nicht stimmig sei dagegen die gegenwärtige Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM), war bereits aus verschiedenen Medien zu vernehmen. Das sehen die Rezensenten des ZZF nicht ganz so streng. Niederlage und Befreiung nach 1945 in zwölf europäischen Ländern ist das Thema des DHM. Eine Gliederung der Ausstellung nach schlüssigen Thesen fehle, fand auch das Quartett. ZZF-Direktor Bösch empfahl, mit dem Audioguide durch die Ausstellung zu gehen. „Dann erschließen sich die ausgestellten Dinge“, sagte er. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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