Streiks bei Bus und Tram: Der lange Weg zum Arbeitsplatz
Lange Gesichter am Hauptbahnhof: Am Freitag wurden viele Potsdamer von dem Streik der Potsdamer Verkehrsbetriebe und der Havelbusgesellschaft überrascht. Andere profitierten vom Komplettausfall bei Bus und Tram.
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Ein Auto kann seine Vorteile haben. Besonders dann, wenn die Bus- und Bahnfahrer streiken. Die Fahrgäste am Potsdamer Hauptbahnhof zogen am Freitagmorgen lange Gesichter. Weder Busse noch Bahnen waren zu sehen. Die digitalen Anzeigetafeln waren entweder ausgeschaltet oder zeigten die regulären Abfahrtszeiten der Busse und Bahnen an. Darunter die Meldung: Wegen Warnstreik ist der Verkehr bis 9 Uhr ausgesetzt.
Von 3 bis 9 Uhr legte der Streik den öffentlichen Nahverkehr in Potsdam lahm. Die Mitarbeiter der Potsdamer Verkehrsbetriebe und der Havelbus Verkehrsgesellschaft mbH versperrten die Ausfahrten ihrer Depots. Und die meisten Fahrgäste, die von Potsdam aus ins Potsdamer Umland pendeln wollten – oder umgekehrt –, wussten nichts von dem Arbeitskampf. „Den Streik in den Berufsverkehr zu legen finde ich eine Frechheit“, empörte sich die 28-jährige Lehrerin Michelle Ohm, die es nicht pünktlich zu ihrer Klasse in der Beelitzer Solar-Oberschule schaffte. Und ihre 43-jährige Kollegin Liudmilla Maas erklärte: Der Streik werde die Chefs, die mit der Aktion gewarnt werden sollen, nicht interessieren. Dagegen zeigte ein 48-jähriger Berliner für die Situation der Streikenden volles Verständnis: „Das ist doch das einzige Recht, dass die Arbeitnehmer haben, und in Deutschland wird es noch nicht mal exzessiv genutzt.“ Er sei nur überrascht gewesen, dass einmal nicht die S-Bahn der Problemverursacher sei.
Während die meisten Fahrgäste zwar etwas wütend, jedoch ohne große Aufregung nach Alternativen suchten, harrte vor den Toren des Betriebsgeländes der Verkehrsbetriebe (Vip) in Babelsberg die streikende Belegschaft aus. „Alle Busse und Bahnen sind im Depot – das ist ein erfolgreicher Streik“, kommentierte Verdi-Verhandlungsführer Jens Gröger die Aktion. Die meisten Kollegen seien bereits gegen vier Uhr morgens zum Versperren der Ausfahrt gekommen, so Gröger. Lediglich ein Streikbrecher-Bus der Linie 612 in Richtung Töplitz war gegen sieben Uhr unterwegs, teilte ein Leser den PNN per E-Mail mit.
Wie berichtet fordert die Gewerkschaft von den verschiedenen Verkehrsbetrieben in Brandenburg rund sechs Prozent mehr Gehalt innerhalb eines Jahres, verbunden mit einer Arbeitszeitverkürzung. „Wir sind teilweise zwölf Stunden auf Arbeit, kriegen aber nur acht Stunden bezahlt“, sagte der Busfahrer Sven Müller. Dies liege, so erklärte sein Kollege Marko Sorgatz, an den geteilten Diensten. Die Fahrer würden morgens und nachmittags eingeteilt. Die zwei- bis dreistündige Unterbrechungen würde mit einem lächerlichen Euro entlohnt. „Unsere Kollegen, die aus Luckenwalde, Beelitz oder Saarmund anfahren, sitzen umsonst rum“. Die Situation sei besonders für Neubeschäftigte schlimm, so Jens Zwegert, Betriebsratsmitglied beim Vip. „Wir fahren 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag – und den Neuen wird brutto nur 1500 Euro gezahlt“, ärgert sich Zwegert.
Der fünfstündige Ausfall freute vor allem die Potsdamer Taxiunternehmen. „Der Andrang ist enorm , in unserer Zentrale herrscht seit Stunden Chaos“, sagte Detlef Baatz, Chef der Taxi-Zentrale. Er musste sogar seinen Mitarbeiter in der Telefonzentrale unter die Arme greifen. Die über 100 Taxis hätten bis kurz vor neun Uhr bei Weitem nicht ausgereicht. In den Parkhäusern am Luisenplatz und in der Hegelallee seien dagegen laut den dortigen Mitarbeitern nicht mehr Autos als üblich abgestellt worden. Auch in den Schulen kam es am Tag der Zeugnisausgabe zu keinen sonderlichen Verspätungen, teilten die Sekretariate des Film- und des Humboldtgymnasiums sowie der Grundschule am Humboldtring mit. Gegen 8.45 Uhr verließen die ersten Busse und Bahnen wieder das Depot.
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