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Landeshauptstadt: Der Mann, der den Irrsinn fotografierte Als Schüler machte Tilo Catenhusen Bilder von der Stadtschloss-Ruine – nun werden sie ausgestellt

Innenstadt /Waldstadt I - Es war der Schulweg. Jeden Tag fuhr der junge Tilo Catenhusen von Fahrland in die damalige Humboldt-Schule in der Heinrich-Mann- Allee.

Von Peer Straube

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Innenstadt /Waldstadt I - Es war der Schulweg. Jeden Tag fuhr der junge Tilo Catenhusen von Fahrland in die damalige Humboldt-Schule in der Heinrich-Mann- Allee. Jeden Tag fuhr er durch eine Trümmerlandschaft. 1953 war das, der Krieg noch nicht lange her und seine Wunden in der Stadtmitte unübersehbar.

„Die Trümmer hatten es mir angetan“, sagt der heute 73-Jährige. Und damals, als Schüler, schenkte ihm sein Vater seine erste Kamera, eine olivgrüne Werra mit Carl- Zeiss-Objektiv. Die wollte er unbedingt ausprobieren und erkor den Alten Markt zum Bildmotiv. Rund 50 Schwarz-Weiß-Bilder knipste er, hauptsächlich die Ruine des Stadtschlosses, doch auch die Nikolaikirche, das Alte Rathaus und das Knobelsdorffhaus sind unter den Aufnahmen. „Der reine Irrsinn war das, all diese Trümmer“, sinniert Catenhusen. „Ich habe gedacht, wir können doch nicht ewig damit leben, es muss doch etwas passieren damit.“

Die Zeit ging ins Land und es passierte tatsächlich etwas – die Schlossruine wurde bekanntlich aus dem Stadtbild getilgt, Catenhusen fing seine Lehre beim Orgelbauer Schuke an und lebte sein Leben. Die Bilder gerieten in Vergessenheit. Bis – ja, bis der historisch Interessierte vor drei oder vier Jahren an einer Veranstaltung zur Zukunft der Potsdamer Mitte im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte teilnahm. Er erinnerte sich plötzlich an seine Fotos, hob die Hand, erzählte von seinem Schatz und fragte, ob jemand Interesse daran habe.

Markus Wicke hatte. Der Chef des Fördervereins Potsdam-Museum sprach Catenhusen an, sie trafen sich, Wicke sah sich die Bilder an – die Idee zu einer Ausstellung wurde geboren. Ziemlich schnell war auch klar, wo die Fotos gezeigt werden sollen – gleich am Ort des Geschehens, in der Nikolaikirche. Am kommenden Samstag um 15 Uhr wird sie eröffnet und ein Jahr lang, bis zum 30. Juni 2012, zu sehen sein. Der Förderverein und der Gemeindekirchenrat teilen sich die Kosten, auch konnten Sponsoren gewonnen werden. Rund die Hälfte der Bilder werden ausgestellt, an der Seitenempore, kurz vor dem Aufgang zur Aussichtsplattform. „Da haben die Besucher, wenn sie von oben auf die Landtagsbaustelle und auf den Alten Markt schauen, den Vergleich, wie es früher dort aussah“, sagt Wicke.

Für den Fördervereinschef haben die Aufnahmen vor allem eine emotionale Wirkung. „Gerade, weil sie manchmal ein bisschen schief und unscharf sind.“ Und nicht die sterile Aura der bekannten Messbildaufnahmen haben.

Das intakte Stadtschloss hat Catenhusen nie gesehen, obwohl er in Fahrland wohnte. Während des Bombenangriffs auf Potsdam in der Nacht des 14. April 1945 war die Familie daher wenigstens in sicherer Entfernung. Doch als Jugendlicher hat er den Abriss der Ruine bedauert. Die Mauern waren ja noch intakt. Später sah er dann ein großes Plakat, auf dem die Partei die Entwürfe für das neue sozialistische Stadtzentrum pries. „Da habe ich damals gedacht: Was für ein Scheiß“, sagt der Rentner.

Umso mehr freut es ihn, dass mit dem neuen Landtag auch das Schloss in die Mitte zurückkehrt. Catenhusen und seine Frau haben bei der Umfrage der Stadt für den Alten Markt votiert, als es um den Landtagsstandort ging. Und, sagt er, sie hätten mit der Initiative „Mitteschön“ für die Knobelsdorff-Fassade demonstriert. „Denken Sie an Schwerin“, sagt Catenhusen, „dort hat der Landtag auch seinen Sitz im Schloss.“

Die alte Werra-Kamera hat der Rentner immer noch. Bis weit nach der Wende hat er damit fotografiert. Ein digitaler Fotoapparat hat sie nun abgelöst. Man muss ja mit der Zeit gehen.

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