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Sport: Der Meistermacher

Ron Schmidt vom Zeppelin-Team trainiert den Olympia-Triathleten Christian Prochnow

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Als ihn die Nachricht erreichte, in Gladbeck, direkt an der Laufstrecke, war alles um ihn herum auf einmal ganz weit weg. Ein Anruf nur, mit diesem einen Satz: „Paule hat es geschafft“. Ron Schmidt stand einfach da, zwischen den Zuschauern, die lauthals die Läufer anfeuerten, und versuchte zu begreifen. Als er begriff, fiel alles von ihm ab. „Ich hab einfach nur geheult“, sagt Ron Schmidt.

Ron Schmidt macht nicht den Eindruck, als ob er oft Tränen vergießen würde. Als der 41-Jährige von seinen Freudentränen berichtet, erzählt er es mit einem leichten Lächeln. Ein Lächeln, das sagen will, dass er selbst überrascht war, in dem aber auch die Selbstverständlichkeit mitschwingt, dass er in diesem Moment gar nicht anders konnte. Denn in diesem Moment wusste er, dass sie es geschafft hatten. Ron Schmidt, der Trainer, und sein Schützling, der Triathlet Christian Prochnow, genannt Paule.

Als Schmidt am vergangenen Sonntag an der Bundesliga-Laufstrecke in Gladbeck stand, lief Prochnow beim Weltcup in Madrid auf der olympischen Triathlondistanz über 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Rad und 10 Kilometer Lauf, als Fünfter und bester Deutscher ins Ziel. Damit hatte er geschafft, was ihm und seinem Trainer die wenigsten zugetraut hatten: Die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Peking.

Ron Schmidt winkt nur ab. Sätze, in denen Prochnow als krasser Außenseiter bezeichnet wurde, dem mit der Olympiaqualifikation das scheinbar Unmögliche gelang, hat er in den vergangenen Tagen oft gehört und gelesen. Er kann darüber nur lächeln. Wer Christian Prochnows Wettkämpfe in den vergangenen Monaten verfolgt hat, wird Schmidt verstehen.

Beim Europacup im spanischen Pontevedra Ende April belegte Prochnow den zweiten Platz hinter dem spanischen Ausnahmetriathleten Javier Gomez. Bei den Triathlon-Europameisterschaften Mitte Mai in Lissabon lief er als 12. durchs Ziel. Andreas Raelert, sein Rivale um die Qualifikation, war in einer Ausreißergruppe, die sich schon auf dem Rad vom Hauptfeld abgesetzt hatte, als 4. ins Ziel gekommen und als Favorit für den letzten freien Platz für Peking gehandelt worden. Doch ein Blick auf die Ergebnisliste zeigte, dass Christian Prochnow auf den abschließenden 10 Laufkilometern über eine Minute schneller war als Raelert.

Ron Schmidt war mit den Triathleten des Potsdamer Zeppelin-Teams in Gladbeck beim Auftakt der diesjährigen Bundesligasaison, als Christian Prochnow in Madrid das Rennen seines Lebens lief. Schmidts Team belegte in Gladbeck den hervorragenden dritten Platz. Bei der Siegerehrung zeigten die Athleten ihre blanken Bäuche, auf jedem ein großer Buchstabe. Zusammen ergaben sie das Wort „Paule“, Christian Prochnows Spitzname. Die Sieger und Zweitplatzierten verblassten neben den jubelnden Zeppelinen. Am Tag zuvor hatte sich beim Nachwuchs- Cup in Halle zudem Alena Stawczynski mit einem Sieg für die U 23-WM qualifiziert. Neben dem amtierenden Titelträger Gregor Buchholz sowie Franz Löschke und Nils Frommhold ist Alena Stawczynski die Vierte aus dem Zeppelin-Team, die zur Weltmeisterschaft nach Vancouver am kommenden Wochenende fährt.

Wenn Ron Schmidt davon erzählt, schweift sein Blick für ein paar Sekunden durch den Gegend. Für einen kurzen Moment wirkt er abwesend, als versuche er das alles noch immer zu begreifen. Dieser Jubel für Christian Prochnow bei der Siegerehrung in Gladbeck, obwohl er doch gar nicht für das Zeppelin-Team startet. Ron Schmidt schüttelt seinen Kopf.

Prochnow startet für das Asics-Team Witten. Im Jahr 2004 war er von Potsdam, wo er seit 2000 von Ron Schmidt trainiert wurde, an den Olympiastützpunkt in Saarbrücken gewechselt. Er wollte unter neuen Bedingungen trainieren, hoffte auf neue Anreize. Doch die Erfolge blieben aus. Im vergangenen Jahr, in den B-Kader zurückgestuft, kehrte er nach Potsdam zurück. Hier, unter der Regie von Ron Schmidt, wollte er sich für Olympia qualifizieren.

„Paule kam zu mir und sagte, dass er nach Peking will.“ Schmidt stimmte unter zwei Bedingungen zu. Christian Prochnow musste alles gnadenlos diesem einen Ziel unterordnen und sein Trainingssystem drastisch umbauen.

„In Saarbrücken hat Paule große Umfänge trainiert“, so Schmidt. Das Potsdamer Trainingssystem fasst er in drei Worte zusammen: „weniger, schneller und qualitativer“. Und immer wieder persönliche Gespräche zwischen Sportler und Trainer. „Es ist wichtig, mit dem Athleten zu reden, zu erfahren, wie es ihm geht und wie er auf das Training reagiert, damit ich als Trainer auch entsprechend reagieren kann“, sagt Schmidt. Als der Zeppelin-Triathlet Gregor Buchholz im vergangenen Jahr in Hamburg überraschend den U23-Weltmeistertitel holte, war das ein erster Fingerzeig, dass seine Trainingsmethode Erfolge zeigt. Jetzt – nach dem starken Auftritt der Bundesligamannschaft, den Qualifikationen für Vancouver und dem Olympiaticket – müssten doch alle Blicke nach Potsdam gehen?

Ron Schmidt, der mit seiner Frau und seinem siebenjährigen Sohn Paul in Potsdam lebt, winkt wieder ab. Zwar haben zwei Nachwuchsathleten nachgefragt, ob sie in Potsdam trainieren könnten, doch sonst wird das Zeppelin-Team noch immer als Neueinsteiger bezeichnet. „Obwohl wir seit 2002 in der ersten Bundesliga starten und der zweitbeste Landesverband in Deutschland sind“, sagt Schmidt. Aber im Grunde stört ihn das wenig. Er genießt diesen Erfolg auf andere Art.

Knapp eine Stunde nach seinem Zieleinlauf in Madrid rief Christian Prochnow seinen Trainer an. Der saß gerade in Gladbeck auf einer Wiese. „Schmidie, ich fasse es nicht“, sagte Prochnow. Dann kamen beiden Männern die Tränen.

Dirk Becker

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