Homepage: „Der Mensch agiert selbstständig“ Philosoph Michael Pauen über den freien Willen
Herr Pauen, Sie sind nach Potsdam gekommen, um auf der Konferenz für Kognitionswissenschaften über den „freien Willen“ des Menschen zu diskutieren. Wozu noch diskutieren, sind wir denn nicht in unseren Entscheidungen frei?
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Herr Pauen, Sie sind nach Potsdam gekommen, um auf der Konferenz für Kognitionswissenschaften über den „freien Willen“ des Menschen zu diskutieren. Wozu noch diskutieren, sind wir denn nicht in unseren Entscheidungen frei?
Die Diskussion um den „freien Willen“ hat in den vergangenen Jahren an Schärfe gewonnen, weil es Experimente gibt, die die Fähigkeit zur bewussten freien Entscheidung infrage stellen.
Inwiefern?
In den Untersuchungen wurden Probanden gebeten, eine bestimmte einfache Handlung zu vollziehen. Dabei wurde beobachtet, was kurz vor und kurz nach der Entscheidung zu Handeln im Gehirn passiert. Die Ergebnisse wurden dahingehend interpretiert, dass das Gehirn die Entscheidung zu einer Handlung bereits festlegt, lange bevor die Menschen diesen Entschluss bewusst treffen.
Woher könnte diese Entscheidung denn dann kommen?
Die Untersuchungen gehen davon aus, dass unbewusste und vom Mensch kaum zu steuernde Areale im Gehirn Entscheidungen festlegen, bevor wir selbst bewusst wissen, was wir tun werden. Wenn dem so wäre, wäre dies tatsächlich ein ernsthafter Einwand gegen die Fähigkeit, frei und verantwortlich zu handeln.
Aber?
Diese Experimente sind umstritten. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass die Ergebnisse der Untersuchungen nicht richtig interpretiert wurden. In einem Experiment hatten etwa die Versuchspersonen keine Wahl zwischen unterschiedlichen Alternativen. Also war gar nicht klar, was die unterschiedlichen Hirnareale machen. Zum anderen gibt es extrem große Schwierigkeiten bei der zeitlichen Verortung eines bewussten Entschlusses. Daher können wir nicht eindeutig sagen, ob die Entscheidung vor oder nach der Aktivität im Gehirn stattgefunden hat.
Wovon hängen denn die menschlichen Entscheidungen dann ab?
Natürlich spielen Prozesse im Gehirn dafür eine entscheidende Rolle. Es wäre undenkbar, dass im Gehirn nichts passiert, bevor wir etwas entscheiden. Die Frage ist nur, ob wir unser Handeln unter Kontrolle haben. Ob unser Handeln im Prinzip beeinflussbar ist, etwa durch Überzeugungen, die wir gewonnen haben. Zumindest die Experimente, die bislang vorliegen, stellen das nicht in Frage.
Also doch keine Selbsttäuschung. Der Mensch bleibt ein selbstständig agierendes Wesen?
Davon gehe ich aus. Der andere Fall wäre auch extrem schwer zu erklären. Denken Sie nur an den Unterschied zwischen kleinen Kindern und Erwachsenen. Gesunde Erwachse können sich in einem wesentlich höheren Maße kontrollieren und rationaler reagieren, als das kleine Kinder oder psychisch kranke Erwachsene können.
Sie untersuchen auch Störungen der Entscheidungsfähigkeit. Womit haben Sie es dabei zu tun?
Dabei geht es um Zwangshandlungen, beispielsweise ständiges Händewaschen oder übertrieben häufiges Kontrollieren von verschlossenen Türen. Uns geht es darum, inwieweit freiheitliches Handeln durch solche Störungen beeinträchtigt wird, welche neuronalen Mechanismen zugrunde liegen. Eine wichtige Frage ist auch, ob beispielsweise ein zwanghaftes Händewaschen nur im Umfeld eines Waschbeckens ausgelöst wird oder ob das noch weiter reicht.
Und?
Es spricht einiges dafür, dass sich solche Zwangshandlungen noch weiter auswirken, dass beispielsweise nicht nur ein Zwang sich zu waschen vorhanden ist, sondern auch andere Handlungen davon betroffen sind. Dem liegen Störungen bestimmter neuronaler Mechanismen zugrunde. Bei der Entstehung dieser Störungen spielen Anlagen, Erfahrungen, aber auch andere Erkrankungen eine Rolle.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
Die Konferenz „KogWis 2010“ findet noch bis heute am Uni-Komplex Griebnitzsee, Haus 6, August-Bebel-Str. 89 statt. Programm im Internet: www.kogwis2010.de
Michael Pauen ist Professor für Philosophie des Geistes an der Humboldt-Universität Berlin. Auf der Tagung KogWis 2010 diskutiert er derzeit in Potsdam über Konzepte des „freien Willens“.
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