Aus dem GERICHTSSAAL: „Der Mensch brauchte Hilfe!“
Freispruch vom Vorwurf des Notrufmissbrauchs
Stand:
Ralf R. (44, Name geändert) sitzt inmitten zweier Rechtsanwälte auf der Anklagebank. Auf der einen Seite befindet sich sein Verteidiger, auf der anderen die Betreuerin. Der Potsdamer ist psychisch krank. Er leidet am Borderline-Syndrom, kämpft mit Panikattacken, dem Drang, sich selbst zu verletzen und dem Wunsch nach Aufmerksamkeit. Der übermannte ihn am 6. April wieder besonders stark. Ralf R. wollte reden, rief deshalb zwischen 20.54 Uhr und 21.46 Uhr siebenmal die Notrufnummer 110 der Polizei an. Nach dem letzten Telefonat fuhr eine Streifenwagenbesatzung zu dem Mann nach Eiche. Später wurde Ralf R. des Missbrauchs von Notrufen beschuldigt.
„Ich hätte diese Anzeige nicht erstattet. Da war wirklich ein Mensch, der Hilfe brauchte“, relativiert Olaf K. (33) von der Wache Mitte im Zeugenstand die Entscheidung seines Vorgesetzten. „Herr R. wollte sich das Leben nehmen. Das hat er immer wieder erklärt. Nach längerem Zureden gelang es uns schließlich, ihn in ein Krankenhaus zu bringen.“
„Ich habe schon so viele Notrufe abgelassen. Da weiß ich gar nicht mehr, ob ich an diesem Tag auch bei der Polizei angerufen habe“, erzählt Olaf K. zu Prozessbeginn. „Aber es wird schon stimmen. Wenn ich mich abgewiesen fühle, rufe ich so lange an, bis ich mein Gespräch kriege.“ Anfangs sei die Polizei regelmäßig gekommen. Dann habe ihm ein Beamter eine Telefonnummer genannt, deren Anschluss 24 Stunden besetzt ist, so der Angeklagte. „Da habe ich auch schon angerufen.“ Manchmal würden diese Gespräche allerdings nichts nützen. „Ich höre mitunter Stimmen und sehe meine Ex-Freundin, obwohl sie schon lange nicht mehr da ist.“
Die Betreuerin kennt Ralf R. seit August dieses Jahres. Da befand er sich bereits zur Langzeittherapie in der Landesklinik Brandenburg, übrigens nicht zum ersten Mal. „Gegen eine solche Störung gibt es eigentlich keine Medikamente“, berichtet sie. Sobald der Drang nach Aufmerksamkeit befriedigt sei, sich Feuerwehr, Polizei oder Ärzte um Menschen mit derartigen Probleme kümmern, sei die Welt kurzzeitig in Ordnung. Ob die neue „Kummer-Nummer“ Ralf K. von weiteren Anrufen bei der Notrufzentrale abhalte, vermöge sie nicht zu sagen.
„Es sieht so aus, als habe der Angeklagte den Tatbestand des Notrufmissbrauchs gar nicht erfüllt“, konstatiert Amtsrichterin Birgit von Bülow nach Abschluss der Beweisaufnahme. „Er fühlte sich so in Not, dass er dachte: Wenn die Polizei jetzt nicht kommt, dann tue ich mir etwas an. Auch wenn ich das eigentlich gar nicht will.“ Freispruch! Hoga
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: