Landeshauptstadt: Der menschenfreundliche Wecker
18 Potsdamer Firmen und Institutionen präsentieren sich auf der CeBIT: Aus Potsdam kommen digitale Kugelschreiber, 3-D-Pässe mit animierten Fotos, Einkaufsberater fürs Internet und kreativer Nachwuchs. Ein Rundgang über die weltgrö
Stand:
Hannover/Potsdam – Von wegen Computermesse: In Hannover wird gestreikt, und zwar nicht virtuell oder digital. Mit Pfeifen und Trommeln ziehen Menschen in rot-weißen Plastiksäcken durch den Hauptbahnhof. Aber zwischen den Heerscharen von Männern mit Aktentaschen und dunklen Mänteln wirken sie irgendwie verloren. Heute ist schließlich der erste Tag der weltweit größten Computermesse. Neun Zugminuten später ist die Szene vergessen. Der Messebahnhof Laatzen empfängt die Besucher mit Party-Musik: „Celebrate good times“ klingt es aus den Lautsprechern. „Ladies and Gentleman, welcome to the Cebit 2008“, säuselt eine Frauenstimme. Die Männer mit den Aktenkoffern werden auf Rollbändern zum Messeeingang gefahren. Jetzt wird es ernst.
Die Eckdaten: Sechs Tage, 27 Hallen, 5845 Aussteller aus 77 Ländern. Irgendwo sollen auch Potsdamer sein. Mit immerhin 18 Unternehmen ist die Landeshauptstadt bei der weltgrößten Computermesse vertreten. Das ist auf der CeBIT nicht mehr als die berühmte Nadel im Heuhaufen.
SCHNELLER ALS DIE KATASTROPHE
Umso größer die Überraschung, gleich hinter der Garderobe schon das erste bekannte Gesicht zu sehen: Ronald Czachara, einer der drei Chefs der Potsdamer Derdack GmbH sitzt auf der Couch im Gespräch. „Wir stehen hier ziemlich grandios“, freut sich der Unternehmer. Zur CeBIT hat er das Alarmsystem „Faster than Disaster“ – schneller als die Katastrophe – mitgebracht. In Störfällen versendet es innerhalb kürzester Zeit Alarmmeldungen per Mail, SMS, Anruf oder Fax. Zum fünften Mal sei Derdack in Hannover, so Czachara: „Wir treffen viele Kunden aus dem Ausland wieder.“ Mitgeschäftsführerin und Schauspielerin Doreen Jacobi hat am ersten Messetag noch keine Zeit: Dreharbeiten für einen Werbespot, verrät sie später.
DEN WECKER OPTIMIEREN
Über Zeitprobleme denkt unterdessen auch Christine Noweski nach. Die 25-jährige Studentin des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Noch am selben Tag will sie zusammen mit ihren Kommilitonen von der neu gegründeten „School of Design Thinking“ eine neue Lösung für das Wecker-Problem finden. „Technikfrust-Hilfe“ steht weiß auf rot auf ihrem T-Shirt – so heißt eines von mehreren CeBIT-Projekten des HPI. Noweski läuft dafür von Stand zu Stand und sammelt Stimmen: „Wie ist die Aufwach-Erfahrung allgemein?“ Das Umfrageergebnis erstaunt nicht: „Die Leute hassen es prinzipiell, geweckt zu werden“, berichtet die Studentin mit Hauptfach Politik. Besonders unangenehm seien laute und grelle Weckertöne, die einen aus dem Tiefschlaf reißen. In vier „Design Thinking Sessions“ im Laufe des Tages kann das Messepublikum zugucken, wie die Kreativdenker aus Potsdam den Prototyp eines neuen Weckers entwickeln. „Es geht darum, möglichst wilde Ideen zu gewinnen und die nicht abzublocken“, verspricht Design-School-Mitarbeiter Ahmet Emre Açar. „Der Wecker soll was Liebevolles, Menschliches sein“, überlegt Christine Noweski. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein: Vier Stunden noch. Der HPI-Stand bleibt auf der Liste.
HERR ROSSA WARTET AUF GIORGIO
Nur einige Reihen weiter steht Christian Rossa und wartet auf die Italiener. Rossa betreut die Computersysteme der brandenburgischen Polizei. Und die von der Polizei angebotene interaktive „Kinderwache“ hatte im vergangenen Jahr bei den Kollegen aus Italien großen Anklang gefunden, erzählt der Computerspezialist. „Wie hieß der nochmal?“, fragt Rossa seine Kollegin Anett Goldenbow: „Giorgio?“ Jedenfalls hätten die Italiener nun selbst eine Kinderwache programmiert – und Rossa will wissen, wie die aussieht. „Die CeBIT ist eine klasse Plattform“, findet er. Auch das interaktive System für die Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten präsentiert Rossa auf der Messe: So wird zum Beispiel mit jedem Bußgeldbescheid heute ein Login mit Passwort verschickt. Im Internet kann man sich dann entsprechend die Fotos ansehen und zum Vorfall Stellung nehmen. 13 Prozent der Verkehrssünder melden sich auf diesem Weg bei der Polizei, so Rossa. Insgesamt würden pro Monat 100 000 Schreiben zum Thema Ordnungswidrigkeiten verschickt.
FÜHRERSCHEIN MIT FARBBILD
Auch wenn man damit bestimmt nicht vorsichtiger fährt: Bald könnte es bunte Passfotos auf den Führerscheinkarten geben. Diese Technologie stellte Ulrich Hamann, der Chef der Bundesdruckerei GmbH, vor. Bisher waren bunte Fotos nur auf PVC-Karten möglich, erklärt Unternehmenssprecherin Iris Köpke. Für den Führerschein und auch den geplanten Personalausweis in Kartenform allerdings wird nicht PVC, sondern das haltbarere, schlagzähere und hitzebeständigere „Polycarbonat“ verwendet. Die so genannten PC-Hochsicherheitskarten konnten bisher jedoch nicht farbig bedruckt werden. Das sei mit der neuen Technologie nun möglich, erklärt Köpke: „Die Farbe wird nicht aufgedruckt, sondern in die Karte eingebracht.“ Entwickelt wurde das Ganze in den Räumen des Fraunhofer Instituts für Angewandte Polymerforschung in Golm (IAP). Erst unlängst startete dort das „SecurityLab“ – eine Kooperation von Bundesdruckerei und IAP (PNN berichteten). Ein zehnköpfiges Forscherteam soll dort unter anderem flexible Bildschirme entwickeln, die das Passfoto ersetzen. In drei Jahren sollen die Pässe mit animiertem Foto, die auf der CeBIT zu sehen sind, marktreif sein.
DIGITALER STIFT
Der „digitale Stift“ von Aibis ist bereits im Einsatz: Eine Postkarte aus der Messehalle ist der Messe-Gag. Auf der CeBIT 2007 präsentierte Projektleiter Christian Holz noch den Prototypen von „SkaiForms“ – heute werde der Kugelschreiber mit Minikamera, der Geschriebenes digitalisiert und per Bluetooth-Technologie ins Netz schickt, erfolgreich verwendet: Wohnungsunternehmen in Frankfurt (Oder) und Berlin nutzten den Stift zum Beispiel für Wohnungsübergabeprotokolle, erzählt Holz. 25 Mitarbeiter zähle Aibis an den beiden Standorten in Potsdam und Hamburg.
WEINBERATER IM INTERNET
CeBIT-Premiere feierten Ole Tangermann und Friedrich-Carl Schaefer von der Firma Excentos: Die vor einem Jahr gegründete Firma mit Sitz in der Hebbelstraße entwickelt „Einkaufsberater“ fürs Internet – zum Beispiel für Waschmaschinen, Wein oder Schuhe. Die Firma zählt unter anderem das Versandkaufhaus Quelle und Dallmayr zu seinen Kunden – und sucht neue Mitarbeiter. Auch Nils-Roman Priesnitz ist zum ersten Mal auf der CeBIT. Der Potsdamer Rechtsanwalt bietet mit seiner Firma RA-RC Anwaltssoftware an: Suchanfragen im Schuldnerregister oder Urteilsdatenbanken können damit online erledigt werden, erklärt der 33-Jährige. Kunden habe er bereits im Vorfeld zur Messe eingeladen: „Rechtsanwälte sind keine sehr internetaffine Berufsgruppe“, sagt er.
UNIPROJEKTE
Zwischen Frankreich und dem Saarland präsentiert sich in diesem Jahr die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg mit einem seiner drei Gemeinschaftsstände. Insgesamt 53 Firmen sind an den Ständen vertreten – neun kommen aus der Landeshauptstadt. Die Universität Potsdam ist mit mehreren Projekten vor Ort: Claudia Müller steht vor einem Bildschirm, auf dem eine Riesenkugel aus bunten Punkten schwebt. Was man zunächst für den Bildschirmschoner halten könnte, entpuppt sich als ein Analyseprogramm für „Soziale Netzwerke“. Damit können Firmen untersuchen, ob die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen so funktioniert wie gewünscht, erklärt die Informatikerin. Das Programm, das sie mit zwei Mitarbeitern und vier Studenten in einem Jahr erstellt hat, soll bald kostenlos im Internet stehen. „Der Code muss noch gesäubert werden“, erklärt sie.
DER MENSCHENFREUNDLICHE WECKER
Plötzlich klingelt es: Der menschenfreundliche Wecker. Nichts wie zurück zum HPI-Stand! Die Präsentation ist zwar schon vorbei, aber Christine Noweski und Oliver Böckmann erklären gerne ihren „Streichel-Wecker“. Eine in einen Pyjama eingebaute „Hand“ soll sich zur Weckzeit erwärmen und sanften Druck ausüben: „Wie bei Mama“, sagt Noweski und strahlt. „Wir haben herausgefunden, dass das möglich ist“, erklärt sie weiter: „Direkt gegenüber gibt es einen Stand mit funktionaler Kleidung.“ Erste Aufgabe erfolgreich gelöst. „Morgen ist alles wieder offen“, sagt Noweski. Und während die Nachbarstände zusammenpacken, wird bei HPI über das nächste Technikfrust-Thema beraten.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: