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Landeshauptstadt: Der Piano-Mann

Sascha Pavlovic aus Potsdam ist Barpianist. Wie viele seiner Kollegen hat er mit niedrigen Gagen zu kämpfen – eine Berliner Bar erweist sich als Rettungsanker.

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Potsdam/ Berlin - Kurz vor dem ersten Ton gibt es Zander mit Risotto. Sascha Pavlovic sitzt in einem schwarzen Anzug mit roten Nadelstreifen in der Lobby eines Berliner Luxus-Hotels und stärkt sich für die kommenden fünf Stunden. „Jetzt muss ich los“, sagt der Potsdamer, wischt sich den Mund ab und steht auf. Kurz darauf wird er sich dem Publikum mit seinem Künstlernamen vorstellen: Sascha Lovich. Seit 22 Jahren verdient der 48-Jährige sein Geld als Barpianist.

Wenn der bärtige Mann mit schulterlangen Haaren in Harry's New York Bar am Lützowufer in Berlin-Tiergarten hinter den Tasten steht, spiegelt sich sein weißes Hemd in der glänzenden Wand hinter ihm. Auf einem schwarzen Flügel hat er zwei Keyboards darauf aufgebaut. Etwas eingepfercht steht er dahinter zwischen zwei Mischpulten und anderen Geräten. Lovich ist Pianist, Sänger und Big Band in einer Person: Mit der linken Hand spielt er Bass, mit rechts zaubert er Saxofon-Solos, Bläsersätze und Gitarren-Riffs aus seinen Keyboards. Nebenbei stellt er die gespeicherten Schlagzeug-Rhythmen für das nächste Stück ein. Den Klassiker aller Barpianisten spielt Lovich ohne Schlagzeug, ohne Bass, nur mit Klavier. Es ist noch früh, als Lovich bei schummrigem Licht die ersten Töne von Billy Joels „Piano Man“ anspielt. Nun hört man auch das Schütteln der Cocktail-Shaker und die Gespräche der wenigen Gäste wieder. Am Stehtisch vor dem Flügel klopft ein Mann seinem Nachbarn auf die Schulter. Die beiden reden etwas lauter als die anderen Gäste - und lauter als die Musik. Lovich lässt sich nichts anmerken.

Lovich spielt Klavier, seit er fünf ist. Etwa 200 Songs hat er mittlerweile im Programm. Welches Lied er als nächstes spielt, entscheidet er spontan. Er braucht keine Listen, keine Noten, keine Texte. Konzerte wie dieses gibt er etwa 300-mal im Jahr. Meistens ist er für einen Monat in einem Hotel. Montag bis Samstag, vier bis fünf Stunden. „Es ist insgesamt schwieriger geworden“, sagt Lovich, die Gagen seien in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen. Statt etwa 200 Euro pro Abend für einen Barpianisten zu bezahlen, lassen viele Hotels Musik vom Band laufen oder engagieren billige Playback-Animateure. Immer häufiger entscheide der Rechenschieber, was gut ist, sagt Lovich. „Sowas hätte es vor zehn Jahren bestimmt nicht gegeben.“ In Zeiten von CDs und MP3s können die Hotels professionelle Musiker wie Lovich leichter ersetzen. Ob im Supermarkt, in der U-Bahn oder auf der Toilette - überall werden die Menschen inzwischen von Musik berieselt. Die wenigen verbliebenen Pianisten in Hotels, Einkaufspassagen und auf Flughäfen müssen sich gegen Laptops, Smartphones und Kopfhörer durchsetzen.

Als sich Lovich nach einer ersten Pause zum zweiten Mal an seinen Platz begibt, hat sich der Raum bereits gefüllt. Bei „No Woman, No Cry“ lässt er die etwa 100 Gäste mitsingen, bei „La Bamba“ lassen die Barkeeper Bierglasrosetten regnen. Die Tropfenfänger aus Papier fallen wie Konfetti auf die tanzenden Gäste herab - honoriert von einem staunenden „Ooooh“ aus dem Publikum.

Nach dem zweiten Block wischt sich Lovich mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht und trinkt einen Schluck Wasser. „Früher konnte man die Luft hier schneiden“, sagt er über die ehemalige Raucher-Bar. Heute nutzen die Gäste die Pause, um draußen ihre Zigarette zu rauchen. Lovich geht in der Zwischenzeit auf sein Hotelzimmer, um seine nassen Haare trocken zu föhnen. Viel Zeit hat er nicht, 20 Minuten später geht es weiter.

Nach dem letzten Block liegt ein leichtes Kratzen auf seiner Stimme. Die meisten Gäste packen jetzt ihre Sachen. Sie haben getanzt, gesungen, getrunken. Lovich sitzt auf einem Barhocker und bestellt eine Apfelschorle - ohne Eis. „Das ist nicht gut für die Stimme“, sagt er. Er will noch eine Weile wach bleiben, um runterzukommen. Die Nacht verbringt er im Hotel.

Manchmal bereut er es, sein Musikwissenschaftsstudium in München nicht abgeschlossen zu haben. Noch mehr bereut er, dass er damals nur knapp an einem Plattenvertrag vorbeigerutscht ist. „Es hat nicht viel gefehlt, es hat echt nicht viel gefehlt“, sagt er. Damals habe er sich wie ein Superstar gefühlt. „Ich hab tierisches Selbstbewusstsein gehabt.“ Die Plattenfirma entschied sich gegen ihn. „Das war ein ziemlicher Tiefpunkt“, sagt Lovich. Mittlerweile hat sich Sascha „Lovich“ Pavlovic damit abgefunden. Manchmal ist er sogar froh, mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Potsdam einen Gegenpol zum Musikerleben gefunden zu haben. Etwa zehn Jahre will er noch als Barpianist arbeiten. Danach vielleicht ein kleiner Musikverlag, eine Musikschule oder eine eigene Pianobar.

Klein. Intim. Vor allem gemütlich soll sie sein, mit Barhockern rund um den Flügel. Spielen würde er dort nur, wenn ihm danach ist und die Gäste gut drauf sind. „Das würde ich nach meinem Herzen entscheiden“, sagt er.

David Kluthe

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