Landeshauptstadt: Der rechte Ort – die rechte Zeit
In einem ehemaligen Fahrradladen startet Versöhnungsarbeit unter dem Zeichen des Nagelkreuzes
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Kapelle, Kantine, Fahrradladen – und jetzt wieder Kapelle. Doch nicht viel erinnert am Ort der Ausstellung über die Geschichte der Garnisonkirche an eine Versöhnungskapelle. Sicher, da steht jener Altar, der einst die Garnisonkirche zierte und in einem Kapellenraum der Kriegsruine noch bis zum Jahr 1968 der Heiligkreuzgemeinde diente, die bis zum Befehl zur Sprengung der Ruine im gleichen Jahr dort ihre Gottesdienste abhielt. Und draußen vor dem Flachbau der erste Bogen der künftigen Garnisonkirchturms – gemauertes Symbol für den ausstehenden wirklichen Start des Wiederaufbaus. Seit gestern ziert zudem ein übergroßes Nagelkreuz die Säule – Zeichen für den Beginn der Arbeit des Internationalen Versöhnungszentrums. Aber es fällt angesichts vieler kahler Wände, großer Fensterscheiben und der Geräusche des Abendverkehrs auf der Breiten Straße schwer, an einen nun geweihten Ort zu glauben. Doch im übervollen Raum ist an diesem Donnerstag niemand, der daran zweifelt. Es ist der rechte Ort. Es ist die rechte Zeit für eine solche Kapelle.
Als vor zwei Jahren das Nagelkreuz von Coventry an die evangelische Kirche Potsdam übergeben wurde, mahnte Paul Oestreicher, früherer Domkapitular der Versöhnungs-Kathedrale von Coventry, mit der Versöhnungsarbeit nicht erst zu warten, bis die Kirche steht. Jetzt, zwei Jahre später, wurde es Zeit, dass etwas geschieht. Zumal der Bau der Barockkirche bis 2017 dauern soll und die 65 Millionen Euro für die Baukosten nicht mal annähernd vorhanden sind. Ja, selbst die Stiftung Garnisonkirche, die als Bauherr, Eigentümer und Betreiber fungieren soll, ist noch nicht einmal gegründet.
Doch Oestreicher, der gestern anwesend war, konnte mit Freude vernehmen, dass nach der Weihe zahlreiche Veranstaltungen an dem neuen heiligen Ort stattfinden werden – im Geiste des Nagelkreuzes, im Geiste der Versöhnung. Potsdams Christen würden „tatkräftig, mutig und zugleich demütig an die Versöhnungsarbeit herangehen“, versprach Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz. Und Oestreicher warb dafür, „Feinde als Mitmenschen zu erkennen und zu lieben“, Leidende „zu sehen und in unsere Herzen aufzunehmen“, dafür zu streiten, „Unterdrückte und Gefangene dieser Welt zu befreien“. Versöhnungsarbeit heiße auch, Fremden und Mitmenschen aus anderen Kulturen „entgegen zu gehen und nicht als Fremde zu sehen“.
„Große Veränderungen fangen manchmal ganz klein an“, predigte Superintendent Heinz-Joachim Lohmann. Der Vorsitzende des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg wies auf die Probleme hin, die, 17 Jahre nach dem Mauerfall, die Menschen in der „Normalität“ bewegten: der Unterschied zwischen arm und reich, die Bildungschancen und „wie wir eingebunden sind in Friede und Unfriede auf dieser Welt“. Man müsse auf alle zugehen, auch auf jene, „die weglaufen und zurück wollen in eine Vergangenheit, die nur Vernichtung brachte“.
Ob Lohmann damit auf jene anspielte, die den Befürwortern des Wiederaufbaus der Garnisonkirche eben genau diese Rückwärtsgewandtheit vorwerfen? Denn ungeachtet der Tatsache, dass Kirchenbau und Nutzungskonzept einen Bruch mit dem preußischen Militarismus vollziehen, demonstrierten ein paar Jugendliche in der Nähe gegen jene „Preußenliebhaber“, die an diesem Ort „Versöhnung mit der eigenen Geschichte“ feiern wollten, wie die Antifa Potsdam erklärte. Immerhin, der Protest blieb friedlich – ein versöhnliches Zeichen.
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