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Landeshauptstadt: Der Schulentwicklungsplan ist ein Frühwarnsystem Karl Ofcsarik über die letzten 15 Jahre, mangelnde Entscheidungsfreude und Reform-Aktionismus

Herr Ofcsarik, waren Sie früher gut in Mathematik? Ich hatte ausgesprochen gute Mathematiklehrer und war in Mathe ganz gut.

Stand:

Herr Ofcsarik, waren Sie früher gut in Mathematik? Ich hatte ausgesprochen gute Mathematiklehrer und war in Mathe ganz gut. Sie sind für Schulentwicklungspläne verantwortlich. Ihnen wird vorgeworfen, Sie entscheiden darin über Wohl oder Übel nur anhand von Zahlen. Zunächst ist es der Vorschlag der Verwaltung. Schulentwicklungsplanung ist wie Mathematik, und Geburtenrückgang ist wie ein Naturgesetz. Es ist die reduzierte, in Zahlen ausgedrückte Darstellung der Situation. Ein Frühwarnsystem. Abgesehen von der Schließung von Grundschulen in Potsdam hat man bei den weiterführenden Schulen bisher nicht reagiert. Vielleicht wird es den Stadtverordneten erst bewusst, wenn das Unwetter aufgezogen ist. Und das wird in diesem Jahr sein. Ihre Empfehlungen, einzelne Standorte zu schließen, sind zuletzt abgelehnt worden. Wie gehen Sie mit der Konfrontation zwischen Politik und Verwaltung um? Das war kein psychisches Problem für mich. Ich hatte immer das Gefühl, dass der vorgelegte Schulentwicklungsplan der richtige Weg ist. Die Schüler sind nicht da, also müssen wir Vorschläge zur Regulierung machen. Ansonsten könnte man uns vorwerfen, unkorrekt zu arbeiten. Ich hatte auch immer das Gefühl, das der Vorschlag als richtig wahrgenommen wurde, aber die Stadtverordneten eine unpopuläre Entscheidung nicht so gern treffen möchten, zumal wenn es Wahljahre sind. Wie bewerten Sie als Schulträger die vielen Schulversuche der letzten Jahre? Bildungsinhalt ist Landessache. Das habe ich versucht immer so zu sehen. Manchmal denke ich, war es zu viel des Guten und etwas Aktionismus. Man traute sich nicht, gleich das zwölfjährige Abitur anzubieten. Also wird ein Schulversuch gemacht und signalisiert, wir sind an Veränderungen interessiert. In Ihrer Verwaltung haben Sie vier verschiedene Beigeordnete erlebt. Was hat sie voneinander unterschieden? Drei zählen nur, Frau Hall war nur ein Kurzintermezzo. Also bleiben Frau Knoblich, Herr Dobberke und Frau Fischer. Dabei waren die ersten vier Jahre die härtesten, doch danach stand das Amt. Das ist auch ein Verdienst von Frau Knoblich, auch wenn sie mich manchmal tüchtig gestresst hat. Insgesamt gesehen haben sich die beiden Frauen mehr in die Aufgaben des Amtes eingebracht, waren näher dran. Während Herr Dobberke uns mehr an der langen Leine ließ, was aber nicht bedeutete, dass die Arbeit nicht genauso gut erledigt wurde. Welches Fazit ziehen sie aus 15 Jahren als Schulverwaltungsleiter? Erstens, der Aufbau der Potsdamer Schullandschaft nach der Wende. Zweitens, die Verbesserung der Unterrichtsbedingungen an den Schulen, Erneuerung des Schulmobiliars, ausreichende Ausstattung der Schulen mit Computertechnik und hochwertigen Lehr- und Unterrichtsmitteln. Drittens. Sichtbarer Beginn von Gebäudesanierung und Schulaußen- und Sportanlagen. Das Schulverwaltungsamt war immer bemüht, den Schulleitern gegenüber als Partner und nicht als Behörde aufzutreten. Sie waren meine wichtigsten Kritiker. Und was ist nicht gelungen? Nicht ganz so die Sanierung und Instandsetzung der Schulen. Das liegt an den Finanzierungsmöglichkeiten der Kommune, aber auch an der seit 15 Jahren meiner Meinung nach fehlenden Prioritätenliste. Ich verstehe auch nicht ganz, warum es Haushaltssperrungen in der Bildung, aber nicht in der Kultur gibt. Bildung ist eine der ureigensten Pflichtaufgaben einer Kommune. In den neunziger Jahren wurden 13 Grundschulen in der Stadt geschlossen, heute eröffnen Sie neue. Warum schließen Sie weiterführende Schulen, obwohl diese Schüler in sechs Jahren dort ankommen? Potsdam hat im Zuge des Schülerrückgangs ein eher komfortables Problem. Im weiten Land bleiben die Zahlen auf einem niedrigen Niveau von etwa 40 bis 50 Prozent der ehemaligen Schülerzahlen. Hier werden die Schülerzahlen wieder auf 75 Prozent des Vorwendestandes ansteigen. Trotzdem ist der Schülerrückgang signifikant und zwingt zur Veränderung des Schulnetzes. Was ist das komfortable Problem? Potsdamer Schulen werden stark von Schülern aus dem Umland nachgefragt. Gegenwärtig liegt die Übergangsquote von der sechsten zur siebenten Klasse bei 132. Zu einhundert Potsdamer Schülern in Klasse sieben kommen 32 aus dem Umland dazu. Das hat einige Standorte in den letzten Jahren gerettet. Doch nun erwarten wir die nächsten vier Jahre weniger als 40 siebente Klassen, 2002 waren es noch 74. Welchen Auswirkungen wird das haben? Nicht alle Schulen werden ausreichend Schüler bekommen und das Schulamt wird entscheiden müssen, welche Einrichtung die Schüler bekommt und welche nicht erhalten bleiben können. Erst 2012 werden wir wieder so viele Klassen haben wie jetzt. Dann müssten Schulen Zug um Zug wieder eröffnet werden. Die Kunst wird sein zu wissen, welche Schulen sieht man dafür vor und wie werden diese bis dahin genutzt? Oder wie stark freie Schulen künftig angewählt werden und wie viele Schüler n nach dem Schülertal noch aus dem Umland nach Potsdam kommen. Aber das wird die Aufgabe meines Nachfolgers in drei bis vier Jahren sein. Welchen Einfluss können Sie auf die Gesetzgebung des Landes bezüglich der Klassenfrequenzen nehmen? Wenig. Das ist eine Diskussion, die nicht so dramatisch ist. Weniger Schulen heißt nicht höhere Klassenfrequenzen. Derzeit lernen durchschnittlich 24 Schüler pro Klasse in weiterführenden Schulen, drei weniger als die Richtfrequenz angibt. Das Problem ist nur, an den Gymnasien und Gesamtschulen mit Sekundarstufe zwei ist die Frequenz bei etwa 27 Schülern, an Schulen der Sekundarstufe I bei 22 Schülern. Die drohenden Schulschließungen werden also Schulen treffen, die keine Sekundarstufe II anbieten? Vor allem diese. Wir haben jetzt ein vierjähriges Schülertal und daraus wird sich eine Neuordnung der Potsdamer Schullandschaft ergeben müssen. Das Vierjahrestief ist natürlich eine Gefahr für die vierjährigen Schulen, also die künftigen Oberschulen. Werden deren inhaltlichen Konzepte übertragbar sein? Konzepte an Schulen sind übertragbar. Es wäre unverständlich, wenn andere Schulen nicht ähnlich arbeiten könnten. Warum sind die freien Schulen derzeit so erfolgreich? Es gibt sicher die Auffassung bei den Eltern, die Kinder nicht in einer großen Schule unterrichten zu lassen und betreuter unterzubringen. Die Klassen sind kleiner. Entscheidend für die Ergebnisse in der Schule ist aber das Elternhaus. Schule kann nicht das kompensieren, was möglicherweise bei der häuslichen Erziehung oder auch schulpolitisch versäumt wird. Da ordnet man Schulen oft eine Aufgabe zu, die sie nicht erfüllen können. Mit den Schulen in freier Trägerschaft hat man die Erwartung und die Hoffnung, da kümmert man sich mehr um mein Kind. Ein weiteres Vorurteil gegenüber staatlichen Schulen ist die ältere Lehrerschaft. Natürlich besteht die Möglichkeit für eine neue Schule, aus Bewerbern auszuwählen. Diese hat der öffentliche Dienst nicht. Durch den Schülerrückgang besteht natürlich auch ein geringerer Bedarf an Lehrern. Das heißt, es werden nur wenige junge eingestellt. Man wartet, bis das natürliche Ausscheiden stattfindet. Ab Donnerstag werden Sie nicht mehr täglich im Büro sein. Was folgt nun? An diesen Punkt kommt jeder im Leben, insofern ist das nichts Besonderes. Als es noch ein paar Monate hin waren, dachte ich, hoffentlich ist es endlich soweit. Jetzt ist es doch etwas komisch, zumal die dienstlichen Aufgaben mich bis zum Schluss voll in Anspruch nehmen. Jetzt wartet unendlich Freizeit und alles was sonst warten muss, kann ich mir dann vornehmen. Das Interview führte Jan Brunzlow

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