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Mehr als nasse Füße. Die Stadt New York, hier der East River Drive, hat zurzeit eigentlich größere Probleme als einen Marathon.

© AFP

Sport: Der schwere Lauf zur Normalität

Trotz der Aufräumarbeiten nach dem Hurrikan findet am Sonntag in New York der Marathon statt

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Die Aufräumarbeiten nach Hurrikan Sandy sind noch in vollem Gange, da füllen sich die Straßen um den Central Park bereits mit hunderten Läufern. Auch am sechsten Tag nach „Sandy“ bleibt der Park für die Öffentlichkeit geschlossen. Während abgebrochene Bäume und Äste beseitigt werden, laufen die Vorbereitungen für den Marathon bereits. Jogger weichen auf die umliegenden Straßenblöcke aus. „Wir New Yorker sind anpassungsfähig“, erzählt Michael, 32, der am Sonntag mit am Start sein wird. Andere Läufer wurden durch den Sturm schlimmer betroffen, haben seit Tagen keinen Strom und fließendes Wasser, kamen in Notunterkünften unter. Auch am Freitag blieben stadtweit 534 000 Haushalte ohne Strom, knapp die Hälfte davon in Manhattan.

Der Marathon ist für New York ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Schätzungsweise 340 Millionen Dollar Umsatz beschert er der Stadt. New Yorks Bürgermeister Michael R. Bloomberg hat deshalb bereits die Bedeutung des Rennens betont. „Es ist eine großartige Veranstaltung für New York. Und für diejenigen, die wir verloren haben, müssen wir glauben, dass sie ebenfalls wollten, dass die Wirtschaft und die Stadt weitermachen.“ Mary Wittenberg, Vorsitzende des offiziellen Marathonveranstalters New York Road Runners NYRR, verteidigte Bloombergs Entscheidung. „Es geht hier nicht ums Laufen, es geht darum, der Stadt zu helfen“, sagte sie. „Wir widmen das Rennen denjenigen, die wir verloren haben, und helfen der Stadt sich zu erholen.“ Der Veranstalter versprach, eine Million Dollar für den Wiederaufbau zu spenden. Zudem wurden bereits 1,5 Millionen Dollar von Sponsoren des Marathons zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt.

Trotzdem gibt es Kritik. Der Veranstalter nutze Ressourcen, die eigentlich für den Wiederaufbau nötig seien, heißt es. Besonders Einsatzkräfte der Polizei und Feuerwehr sollten sich auf die vom Sturm betroffenen Gebiete konzentrieren. „Es lenkt den Fokus von den Menschen weg, die das zurzeit wirklich brauchen“, sagt Josh Maio, ein Läufer, der am Sonntag aufgrund einer Verletzung nicht teilnehmen kann. Viele erinnern sich an den Marathon im Herbst 2001, nur wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September. Auch damals stieß die Durchführung der Veranstaltung auf Kritik. Auf Twitter wird seit Tagen heiß über das Thema diskutiert. Richard Dreyfuss, Schauspieler und Academy-Award-Gewinner, schreibt: „Sie sollten den New Yorker Marathon auf einen anderen Zeitpunkt verschieben, zum Beispiel, wenn es keinen Hurrikan gibt.“ Die Autorin und Bloggerin Alice Bradley startete eine Online-Petition gegen den Lauf, bisher mit knapp sechstausend Unterschriften. „Dies ist der falsche Zeitpunkt für einen Marathon“, sagt sie.

Die „New York Post“ stachelte die Kritik am Freitag weiter an. Die Zeitung veröffentlichte Bilder von Stromgeneratoren, die im Central Park wegen des Marathons eingesetzt werden. Die drei Dieselgeneratoren erzeugten genug Energie, um 400 Häuser in den betroffenen Gebieten wie Staten Island, den Rockaways oder Downtown Manhattan zu versorgen. Überraschend stellt sich auch das Magazin „Businessweek“, das New Yorks Bürgermeister Bloomberg gehört, gegen den Marathon. Wie nach 9/11 würde auch dieses Jahr die Stadt zu früh versuchen, wieder zur Normalität zurückzukehren.

Auch an den Läufern prallt die Kritik nicht einfach ab. Elin Tough, eine britische Reporterin und Teilnehmerin des Marathons, sagt: „Beim Anblick der Aufnahmen von den ikonischen gelben Taxis, die in den überfluteten Straßen schwimmen, und der Spur der Verwüstung fühle ich mich schuldig und egoistisch, wenn ich über das Rennen nachdenke. Aber ich hoffe wirklich, dass wir laufen können.“ Ron Cowie, Fotograf aus Rhode Island, ist positiv gestimmt: „Ich freue mich auf den Marathon und bin dankbar für all die Unterstützung, die ich bekomme. Ich habe lange trainiert und nun endlich ist die Zeit gekommen.“

Die Teilnehmer stehen vor ganz anderen Herausforderungen. Besonders der Transport stellt ein Problem dar. Viele U-Bahnen fahren noch nicht, Busse können nicht alle Stadtteile erreichen. Der Veranstalter NYRR bemüht sich seit Tagen, gemeinsam mit den Behörden die logistischen Herausforderungen zu meistern. Shuttlebusse werden eingesetzt. Aber auch die Hotels stehen vor großen logistischen Herausforderungen, da unvorhergesehene Absagen und Anfragen zur Verlängerung des Aufenthaltes eingehen. Zudem sind viele vom Sturm betroffene New Yorker auf Hotelunterkünfte angewiesen. Einige Hotels sind selbst von den Folgen des Hurrikans betroffen und haben keine Strom- oder Telefonverbindung.

Mit rund 40 000 Läufern wird das Teilnehmerfeld in diesem Jahr deutlich kleiner ausfallen als in der Vergangenheit. Die offizielle Eröffnungsfeier am Freitag sowie eine für Samstag geplante Veranstaltung wurden abgesagt. Zudem wurde das Kündigungsrecht gelockert. Sportler, die nicht teilnehmen können, erhalten eine garantierte Teilnahme am Marathon im nächsten Jahr. Richard Mächtel

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