MÄRKISCHE STADTSPAZIERGÄNGE Die achtteilige Serie vom Sommer 2005 wird forgesetzt – Heute: Templin (9): Der tapfere August war eine Templinerin Wehrhaft, seenreich und voller ulkiger Geschichten:
Nach Templin pilgern Mittelalter-und Wasserfans
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August Lübeck war ein mutiger junger Mann. Im Jahre 1813 nahm er an 17 Schlachten gegen Napoleons Truppen teil, doch bei Dennewitz verletzte ihn der Feind so schwer, dass er, aus drei Wunden blutend, in ein Berliner Lazarett kam. Die Überraschung war groß, als sich der tapfere August bei der Untersuchung als die zwanzigjährige Friedericke Krüger entpuppte.
Wieder genesen, kehrte Friedericke sofort zu ihrem Regiment zurück. Für ihre Tapferkeit erhielt sie das preußische Eiserne Kreuz und den russischen St.-Georgs-Orden. Außerdem versprach Friedrich Wilhelm III. sogar die Hochzeitsausstattung zu übernehmen, falls sich ein wackerer Mann für entscheiden sollte. Karl Köhler, Unteroffizier bei einem Ulanen-Regiment, fand Friedericke und das königliche Angebot verlockend – und so wurde bald Hochzeit gefeiert. Auch der Großherzog von Mecklenburg spendierte den Frischvermählten eine Jahresrente von 50 Talern, die der Preußenkönig um weitere 72 Taler erhöhte.
Die Templiner sind stolz auf ihre kampferprobte Friedericke. Mit deren Geschichte beginnt so manche Führung durch die Altstadt. Danach geht es aber schnurstracks noch weiter zurück ins Mittelalter, denn Templins touristische Attraktion ist die fast kreisrunde, aus Feldsteinen errichtete Stadtmauer. 1734 Meter lang und durchschnittlich sieben Meter hoch, umringt sie den historischen Stadtkern und dokumentiert mit ihren 47 Wiekhäusern, dem Pulver- und Gefängnisturm und den Stadttoren, wie eine Kleinstadt zur Ritterzeit in der Mark aussah.
Bei Stadtbränden war die Verteidigungsanlage aber eher hinderlich. Mehrfach wurde Templin von großen Bränden heimgesucht. 1735 zerstörte das Feuer die gesamte Stadt. Nur die Georgenkapelle, die Stadtmauer und Teile ihrer Tore überstanden die Flammen. Beim Wiederaufbau entstand ein völlig neuer, schachbrettartiger Grundriss mit breiteren Straßen. 1750 weihte man das barocke Rathaus auf dem Markt ein, nur zwei Karrees entfernt von der gleichfalls wieder aufgebauten Stadtkirche Maria Magdalena. Die Inschrift über deren Südportal erinnert daran: „Des Feuers Macht warf mich darnieder und stürzte mich in Asch und Graus; durch Friedrichs Huld steh ich nun wieder und bin ein neues Gotteshaus“.
Doch nicht nur Feuersbrünste warfen die Stadt in ihrer Entwicklung zurück. Mehrfach geriet sie ins Abseits, weil Handelswege verlegt wurden. 1746 weihte man den Finowkanal ein. Der Warenverkehr zwischen Magdeburg und Stettin verlagerte sich aufs Wasser, wodurch Templin Zolleinnahmen verlor. Es ging aber wirtschaftlich immer wieder voran. Ein Imagegewinn war 1912 der Umzug des Joachimsthalschen Gymnasiums von Berlin nach Templin. Als Fürstenschule 1607 von Kurfürst Joachim Friedrich gegründet, galt sie als eine der wichtigsten Bildungsstätten der Mark. Verlegt wurde das Gymnasium mit seiner wertvollen Bibliothek, weil ihm Templin ein Grundstück schenkte. Zu DDR-Zeiten war die Schule später ein Lehrerbildungsinstitut. Seit 1996 stehen die Gebäude leer.
Heute spielt die Stadt gerne ihre touristischen Trümpfe aus: Mittelalter-Flair, Wasserreichtum und an sonnigen Tagen eine geradezu mediterrane Stimmung. Drumherum kann man paddeln, segeln oder auf dem Lande als Draisinenfahrer in die Pedale treten – auf der stillgelegten Bahnstrecke zwischen Templin und Fürstenberg.
Außerdem ist Templin ein Thermalsoleheilbad. Zurzeit ist die erst fünf Jahre alte Natur-Therme in der Nähe des Lübbesees wegen vieler Baumängel allerdings geschlossen. Bis Ende 2006 soll sie repariert sein. Bereits Anfang Juli öffnet die acht Kilometer vor Templin am Röddelinsees gelegene Westernstadt „Eldorado“. Der Potsdamer Filmparkchef Friedhelm Schatz betreibt das Projekt. Wildwest-Shows sollen Gäste anlocken.
Bundesweit Schlagzeilen machte Templin Ende der 90er Jahren mit dem ersten Nulltarif in Stadtbussen in Deutschland. Das Projekt hielt man nur bis 2003 durch. Billiger sind die Busse aber noch immer: Wer die Tageskurtaxe von einem Euro bezahlt, kann diesen Nachweis entsprechend lange als Dauerticket nutzen. Mit 350 Mitarbeitern ist der „Waldhof“ am Bürgergarten der größte Arbeitgeber. 1852 gegründet als „Verein zur Erziehung verwahrloster Knaben“, widmet er sich heute verschiedensten Erziehungsaufgaben. Seit 1957 war Pfarrer Horst Kasner hier viele Jahre lang engagiert. Seine älteste Tochter Angela ist heute Bundeskanzlerin.
Doch Templin überrascht die Republik auch auf andere Weise. Wer hier ein „Nudlgericht“ bestellt, erhält Kartoffeln. Solche Nudlspezialitäten gibt es beispielsweise im Landgasthof „Kleine Schorfheide“ in Annenwalde. Als der bissige Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr in den 20er Jahren einmal Templin besuchte, berichtete er über das „ulkige Städtchen“ in der Uckermark: „Ulkig die Beschaffenheit einer anscheinend furchtbaren Stadtwehr von so gemütlichem Anstrich. Ulkig die Tore; auf dem einen nistet ein Storch.“ Viele Storchengenerationen haben auf dem Berliner Tor das Licht der Welt erblickt. Seit einigen Jahren blieb das Wagenrad leer. Warum? Vielleicht liegt es an der nächtlichen Illumination. Wer lässt sich schon gerne ins Nest leuchten?
Carl-Peter Steinmann
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