zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Der Tod des Stadtbaurats

Auf Spurensuche: Arno Neumann wurde am 3. August 1946 auf der Langen Brücke von Russen erschossen – ein Augenzeuge korrigiert die Geschichte

Stand:

3. August 1946: Arno Neumann, der erste Potsdamer Stadtbaurat nach dem 2. Weltkrieg, wird auf der Langen Brücke erschossen. Wie es dazu kam, war bisher nicht zu ergründen. Denn über den in der DDR- Zeit totgeschwiegenen Vorfall wurde bislang nur eine Protokollnotiz des SED- Kreisvorstandes vom 3. August 1946 aufgefunden, wonach er „durch Unfall aus dem Leben geschieden“ sei. Auf die näheren Umstände geht das Protokoll nicht ein. An Einzelheiten kann sich dafür ein Schulfreund der Kinder von Neumann erinnern – denn der heute 77-jährige Berliner Ulrich von Mosch saß nach eigenen Angaben an jenem Augusttag mit im Auto, als Neumann erschossen wurde. Eine Erinnerung, die die bisher bekannte Geschichte korrigiert.

Als Arno Neumann auf der Langen Brücke erschossen wurde, saßen seine Kinder Paul und Eva-Maria, außerdem deren Schulkamerad Ulrich von Mosch mit im Auto. Danach kamen die Vier nicht von einer „Parteiversammlung“, wie behauptet, sondern von einem privaten Besuch zurück. Sie passierten die Brücke kurz nach Mitternacht. Auch die Annahme, die russischen Soldaten hätten wegen Überschreitung der Sperrstunde auf den Wagen geschossen, teilt Ulrich von Mosch nicht. Vielmehr sei der Stadtbaurat nach dem Anruf der Posten weitergefahren, weil er Übergriffe befürchtete. „Jüngere können sich das kaum vorstellen, aber damals wurden solche angeblichen Kontrollen von Besatzungssoldaten auch dazu missbraucht, Menschen auszuplündern und zu berauben“, verdeutlicht Ulrich von Mosch. Ohne Kommentar soll hinzugefügt werden, dass mit Eva-Maria Neumann auch ein attraktives junges Mädchen im Wagen saß.

Die erste Garbe aus der Maschinenpistole blieb glücklicherweise in einigen Autoreifen stecken, die hinten im Wagen gestapelt waren. Ulrich von Mosch wurde allerdings von einem Streifschuss am Arm getroffen. Die zweite Salve, schräg auf die Fahrertür abgegeben, durchsiebte dann aber Arno Neumann, der über dem Lenkrad zusammenbrach. Ulrich von Mosch sprang aus dem Wagen und schrie nach einem Offizier. Der kam auch, sprach sogar Deutsch und verhinderte vielleicht noch Schlimmeres. Plötzlich aber zogen sich die Posten zurück und ließen die drei Jugendlichen mit dem sterbenden Stadtbaurat mutterseelenallein auf der Brücke. Nachdem sie ihn auf den Beifahrersitz umgebettet hatten, setzte sich der 17-jährige Ulrich von Mosch, obwohl er natürlich keinen Führerschein besaß, hinter das Lenkrad und brachte Arno Neumann ins Oberlin-Krankenhaus. Dort konnte nur noch der Tod festgestellt werden. „Am allerschlimmsten war für uns drei junge Leute, dass wir Anni Neumann die Nachricht von der Erschießung ihres Ehemannes überbringen mussten“, blickt Ulrich von Mosch zurück. Er war als Flüchtling von den Neumanns aufgenommen worden, nachdem er sich bis Potsdam durchgeschlagen hatte, um seine Schulausbildung abzuschließen.

Anni Neumann wohnte noch bis 1954 in der Wilhelmstraße 22 (heute Alt Nowawes). Mehrfach fand sie anonyme Drohungen in ihrem Briefkasten, über die Todesumstände ihres Mannes Stillschweigen zu bewahren. Noch 1949 wurde eine Hausdurchsuchung angesetzt, wie die Neumanns anhand des ihnen ausgehändigten Protokolls dokumentieren können. Die Witwe ging dann in den Westen, ihre Kinder und Ulrich von Mosch hatten diesen Schritt schon Anfang der 1950er Jahre vollzogen. Die Staatssicherheit bzw. ihr Vorläufer, die K 5, beschäftigte sich also über Jahre hinweg mit dem tragischen Vorfall auf der Langen Brücke. Dies lässt nach Ansicht des Historikers Thomas Wernicke darauf hoffen, dass sich in der Stasi-Unterlagenbehörde darüber Akten erhalten haben. Wernicke hat zu Arno Neumanns kühnen Architekturentwürfen geforscht und darüber publiziert. Dazu gehörte auch die Vision eines „Stockholm am Havelufer“ direkt nach dem Krieg. Neumann wollte das Zentrum der Stadt in östliche Richtung verschieben. Vorgesehen waren neben einer drei- bis fünfgeschossigen Wohnbebauung ein an der Havel platziertes monumentales Rathaus und ein zentrales Verwaltungsgebäude an der Burgstraße. Eine neue, sechsspurige Brücke Richtung Babelsberg endete in einem als gewaltiges Stadttor gestalteten Gebäude.

Über dessen persönliches Schicksal konnte Wernicke jedoch wegen der fehlenden Quellen nur wenige Angaben machen. Der 1892 geborene Babelsberger Arno Neumann stammte aus einer alten sozialdemokratischen Familie, sein Vater Paul war als erster Sozialdemokrat von 1917 bis 1921 Ortsvorsteher von Nowawes. Arno Neumann führte ab den 1930er Jahren zunächst in der Stahnsdorfer Straße 81 ein eigenes Architekturbüro und wohnte dann in der Wilhelmstraße (heute Alt Nowawes) 22. Am 3. Mai 1945 wurde er in den „Zehnerausschuss“ berufen, der unter Aufsicht des sowjetischen Stadtkommandanten Oberst Werin die Stadtgeschäfte führte. Mitte Mai wurde das SPD-, nach der Zwangsvereinigung mit der KPD dann SED-Mitglied Dezernent für Wiederaufbau.

Nach dem Tod Neumanns wurde beim stellvertretenden Chef der Sowjetischen Militäradministration für die Provinz Brandenburg, Generalmajor Vasilij M. Sharow, die Genehmigung für einen Trauerzug erwirkt. Arno Neumanns Personalunterlagen sind aus den Akten verschwunden. Nach der Wende berichtete 1995 Werner Gabriel, ein Mitarbeiter Neumanns, über den Vorfall. Mit seinen Kollegen spendete er für einen Grabstein, der sich bis heute stark verwittert auf dem Babelsberger Friedhof Goethestraße erhalten hat.

In einem PNN-Artikel über die Pläne Neumanns im vergangenen Jahr wurde auf das tragische Schicksal des Stadtbaurates hingewiesen. Daraufhin meldete sich ein Enkel des Ermordeten, der Berliner Musiker Arne Paul Neumann, bei den PNN. „Die näheren Umstände der Tat sind unbekannt und wurden offensichtlich völlig verdunkelt“, schreibt er. Der Augenzeuge Ulrich von Mosch hat nun dafür gesorgt, dass die Todesumstände näher beleuchtet werden können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })