Von Jan Brunzlow: Des Königs Geschenk
Seit 264 Jahren lebt die Familie Gutschmidt auf Land, das sie von Friedrich II. bekam. Dass sie weit draußen wohnen, bestreiten sie. Ruhig, in Stadtnähe, nennen sie es.
Stand:
Der Alte Fritz ist schuld. Wie an so vielem in Potsdam und darüber hinaus. Er hat die Folter abgeschafft, Kriege geführt, Toleranz gepredigt, die Kartoffel anbauen lassen und als kleine Geste dem Vielfach-Ur-Ur-Großvater von Stefan Gutschmidt für seine Verdienste als Unteroffizier fünf Hektar Land geschenkt. Das soll 1746 gewesen sein, geht aus der Familienchronik hervor. Noch heute, 264 Sommer später, steht das erste Haus des Ur-Ahns. Ruhig gelegen, im Abseits? Nein, in Stadtnähe und mit Bahnanschluss ein Rapsfeld weiter, beschreiben Stefan und Jeanette Gutschmidt ihren Wohnort.
Das Geschenk des Königs, ein Gründungspfeiler von Neu Grube, ist noch heute in Familienbesitz. Gutschmidts leben inzwischen allerdings in einem neu gebauten Haus. Der angrenzende alte Hof mit seinen Scheunen und Ställen liegt noch unsaniert am Ende der kleinen Stichstraße Am Küssel. Stefan Gutschmidt kennt das Haus mit dem Moos auf den alten Ziegeln noch bestens, er ist darin aufgewachsen. Doch schon vor mehr als 20 Jahren hatten seine Eltern neu gebaut, direkt daneben. Und kurze Zeit später auch Stefan Gutschmidt, wieder direkt daneben. Heute leben die Generationen Tür an Tür. Sein Vater Helmut Gutschmidt, der einst von der Landwirtschaft lebte, sowie Stefan mit seiner Frau Jeanette und Sohn Paul.
Jeanette und Stefan Gutschmidt sitzen am Frühstückstisch, die aufgehende Sonne blinzelt durch das Küchenfenster. Der gemeinsame Morgen in der Küche ist ein eher seltener Anblick, denn seit Jahren arbeitet Stefan Gutschmidt bei der Feuerwehr im Schichtdienst und muss etwa eine Stunde mit dem Auto zur Arbeit fahren. An Arbeitstagen verlässt er daher bereits um fünf Uhr den Hof. Etwa zehn Schichten im Monat hat er. Daran habe sie sich gewöhnt, sagt Jeanette Gutschmidt. „Wir haben nicht das normale Familienleben, aber das ist Alltag geworden“, sagt die 37-Jährige. Sie arbeitet in der Verwaltung der Potsdamer Arbeitsagentur, ihr Mann als Feuerwehrmann auf Schicht und der Sohn kommt wegen seiner Ausbildung zum Koch inzwischen auch nicht mehr täglich nach Hause. Genau genommen nur noch „wenn ich mindestens zwei Tage frei habe“, sagt Paul. Das war eine Umstellung, „eine Person weniger macht sich schon bemerkbar“, so Jeanette. Sie steht im Wohnzimmer des Hauses, das Bügelbrett ist aufgebaut, um die gerade gewaschenen Sachen des Sohnes wieder fertig zu machen. In zwei Stunden will er wieder los.
Grube liegt nordwestlich der Innenstadt, ein Bus Richtung Töplitz und einer Richtung Innenstadt fährt stündlich durch den Ort. Nicht wirklich üppig. Früher war es Pauls Schulweg, erst in die Foerster-Grundschule im Bornstedter Feld, später an die Kollwitz-Oberschule in der Brandenburger Vorstadt. Weite Wege sind die Gutschmidts gewöhnt. Doch seit Sohn Paul die Strecke zum Ausbildungsort in Rheinsberg mit dem Zug fährt, dabei fünfmal umsteigen muss und gefühlt eine Ewigkeit benötigt, hat Jeanette Gutschmidt eine neue Relation zum Fahrplantakt des Dorfbusses. Da habe sie schätzen gelernt, dass der Bus immerhin einmal pro Stunde fahre. „Das geht schon ganz gut“, sagt Stefan Gutschmidt. Denn wenn der Bus weg ist, könne die Bahn genommen werden. Die fährt in Golm, ein Rapsfeld entfernt. Der Bahnhof ist mit Auto oder Fahrrad schnell zu erreichen.
Nun macht Paul, der 17 Jahre alt ist, die Führerscheinprüfung. Um unabhängiger zu werden. Die Theorie ist geschafft, die Praxis steht bevor, um mit 17 Jahren und sechs Monaten das durch Eltern begleitete Fahren zu dürfen. Dann könne er auch wieder öfter nach Hause. Die Fahrzeit würde sich von derzeit drei Stunden mehr als halbieren. Dann hätte er wieder mehr Zeit für Familie und Freunde.
Lange Zeit waren sie die einzigen jungen Leute in der kleinen Straße, die einzige Straße Potsdams ohne Schlaglöcher, sagt Stefan Gutschmidt. Es war ruhig hier, Paul war das einzige Kind. Schlimm? Paul schüttelt den Kopf. Kein Problem. Ein paar Freunde im Ort, einige in der Stadt und ansonsten die Ruhe des kleinen Ortes genießen. Oder seinem Vater helfen. Im Garten beispielsweise, in dem das Unkraut keine Chance zu haben scheint. „Da sind wir schon ruhiger geworden“, sagt der Hausherr. Der Garten, der so groß ist, dass der Rasen mit einem kleinen Traktor gemäht wird, ist für ihn eine Oase zum Kraft tanken. Erdbeeren, verschiedene Strauch-Beeren, Obstbäume, Kartoffeln, Zucchini Es wird so ziemlich alles angebaut, um sich selbst versorgen zu können. Ein Ausgleich, denn wenn Stefan Gutschmidt nicht gegen das Feuer kämpft, tritt er als Ortsvorsteher gegen den Amtsschimmel und als ehrenamtlicher Richter am Verwaltungsgericht für die Gerechtigkeit an. Auch seine Frau Jeanette ist acht Jahre lang am Amtsgericht ehrenamtliche Richterin gewesen, nun sitzt sie am Sozialgericht.
Sich in die Gesellschaft einbringen, um etwas zu bewegen, ist für die Gutschmidts Normalität. Dorfleben beispielsweise gibt es nur, wenn sich die Einheimischen einbringen, sagen sie. Da müssten sich Zugezogene mit Alteingesessenen der 430-Seelen-Gemeinde einlassen. Denn wer will, dass hier etwas los ist, muss es selbst organisieren. Ansonsten wird nichts daraus – in einem Ortsteil, in dem es weder eine Kneipe noch ein Restaurant gibt. Sohn Paul Gutschmidt war in der Jugendfeuerwehr. Wie viele der Jugendlichen hier. Der Zusammenhalt wird beschworen, sich in das Dorfleben einbringen. Stefan Gutschmidt macht dies, seitdem er hier lebt, schon immer. Erst freiwillige Feuerwehr und nun seit sechs Jahren Ortsvorsteher. Jeanette Gutschmidt engagiert sich in der Kirchgemeinde. Im Herbst möchte sie sich zur Wahl in den Kirchenrat stellen. „Das gehört hier einfach dazu“, sagt sie.
Hilfe von der Stadtverwaltung bei der Dorfentwicklung könnten sie sich etwas mehr vorstellen. Doch Grube ist nicht Golm mit dem Wissenschaftspark oder Marquardt und Kartzow mit ihren Schlössern. Grube ist Durchfahrtsort zur Autobahn Berliner Ring, einer der kleinsten Ortsteile Potsdams und selbst auf der offiziellen Internetseite der Landeshauptstadt erscheint unter den Ortsteilen kein Hinweis zu Grube.
Dabei gibt es hier wunderschöne Natur, sagt Jeanette Gutschmidt. Ihr Mann stimmt zu. Sie leben gerne hier, nicht allein aus Tradition. Sie fühlen sich wohl. Auch heute wieder fahren sie mit dem Rad eine Runde durch den Ort, nach Nattwerder und entlang der Wublitz. Eine Touristenroute, denn Nattwerder feiert in Juni 325-jähriges Bestehen. Eine kleine Kirche, herrlich sanierte Höfe und Idylle pur. Stefan Gutschmidt steigt vom Fahrrad, unterhält sich mit einem Anwohner über das bevorstehende Ereignis und was noch alles getan werden müsste. Als Ortsvorsteher will er wissen, wo die Leuten der Schuh drückt. Und was er beim nächsten Telefonat mit der Verwaltung wieder klären muss.
Am Rand der Wege liegt Müll beziehungsweise Kompost. Es ärgert die beiden Gruber, wenn der Ort, der auch Deiche gegen eine mögliche Flut der Wublitz hat, zugemüllt wird. Denn die seit Jahren unberührte Natur empfinden sie als ein großes Gut für den Ortsteil. Weite gelbe Felder sind es derzeit, der Raps zeigt seine ganze Pracht. Kühe eines hiesigen Bauers weiden auf den Wiesen, am Horizont stehen einige Pferde. Strauße laufen auf einem Hof im Garten, an anderer Stelle gackern die Hühner. Wo andere Urlaub machen, leben die Gutschmidts.
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