Links und rechts der Langen Brücke: Des Lebens nicht mehr froh
Nicola Klusemann versetzt sich in den 25-Jährigen, der in betrunkenem Zustand einen Polizisten anfuhr und lebensgefährlich verletzte
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Amok-Fahrer, Disko-Irrer, Prollraser: Nachdem Donnerstagmorgen ein 25-jähriger betrunkener Autofahrer Gas gab, um einer Verkehrskontrolle zu entfliehen und dabei einen Polizisten überfuhr und schwer verletzte, überschlagen sich die Boulevard-Zeitungen in Vorverurteilungen. Dicht gefolgt von Forderungen nach höheren Strafmaßen für die Leichtfertigkeit, mit der hier das Leben eines anderen aufs Spiel gesetzt wurde. Oder neuen Prognosen über die Jugend, die ohne Gewissen ist und zunehmend außer Kontrolle gerät.
Nüchtern betrachtet ist die Flucht vor einer Kontrolle durch die Ordnungshüter tatsächlich kein Einzelfall. Trotzdem kann dies nicht als anwachsendes Problemfeld gesehen werden. Laut Statistik des brandenburgischen Polizeipräsidiums wurden landesweit im Jahr 2004 21 Fälle dieser Art registriert, im Vorjahr 16 und in diesem Jahr bisher sechs – begangen von Autofahrern aller Altersgruppen und in der Mehrzahl unter Alkoholeinfluss. Während laut Polizei bei einem Alkoholwert von bis zu 0,5 Promille noch Einsicht in eigenes Fehlverhalten überwiegt und man sich der Kontrolle stellt, steige mit dem Pegel auch der Mut. Bei dem 25-Jährigen, der zuvor eine Veranstaltung im „Waschhaus“ besucht hatte, wurde ein Atemalkoholwert von 1,49 Promille festgestellt. In dem Moment, in dem er in falscher Richtung aus der Einbahnstraße Schiffbauergasse kam und die Polizei auf der anderen Straßenseite entdeckte, muss vor ihm ein ganzer Film abgelaufen sein: Aufgefallen! Zu viel Alkohol! Führerschein weg! Auto weg! Nichts wie weg hier! Beflügelt durch den Alkohol im Blut gemixt mit durch den Schrecken freigesetztem Adrenalin fühlte sich der junge Mann stark. Er riss das Lenkrad rum, gab Gas und raste in die zweite Kontrolle. Dem ersten Polizisten, der ihn zum Stoppen bringen wollte, wich er aus und erwischte direkt danach dessen Kollegen frontal. Der Körper des 48-jährigen Mannes zertrümmerte beim Aufschlagen die Windschutzscheibe. Ein Geräusch, das der 25-Jährige nie mehr vergessen wird. Die Sekunden seiner Flucht bleiben in seinem Kopf eingebrannt. Die Tatsache, einen Menschen lebensgefährlich verletzt zu haben, wird ihn ein Leben lang begleiten. Das ist die eigentliche Strafe, die er verdient.
Nicola Klusemann
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