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„Frühlings Erwachen“ am Humboldt-Gymnasium: Deutschland, deine Jugend

Wenn ein Kasten Sternburg Export neben einer Mülltonne auf einer Bühne steht, dann ist man im Jugendtheater. Und das findet diesmal am Humboldt-Gymnasium statt: Heute Abend ist die Premiere von „Frühlings Erwachen“, inszeniert vom Kurs Darstellendes Spiel unter der Leitung von Dolores Schaffernicht.

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Wenn ein Kasten Sternburg Export neben einer Mülltonne auf einer Bühne steht, dann ist man im Jugendtheater. Und das findet diesmal am Humboldt-Gymnasium statt: Heute Abend ist die Premiere von „Frühlings Erwachen“, inszeniert vom Kurs Darstellendes Spiel unter der Leitung von Dolores Schaffernicht. Die gibt am Vorabend, kurz vor der Generalprobe, letzte Instruktionen – eine strenge Regisseurin, und doch mit Herzblut.

Es ist aber auch kein Wohlfühlstück, dieses „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind, das 1891 mit dem Untertitel „Eine Kindertragödie“ veröffentlicht wurde und seitdem nichts an Aktualität eingebüßt hat. Im Zentrum der Handlung stehen die jungen Leute Melchior, Moritz und Wendla, die sich in der Selbstfindung befinden und im Korsett einer dominanten Gesellschaft scheitern, weil ihnen die Aufklärung fehlt. Es ist die zynische Auseinandersetzung mit dem Konservativismus, die Wedekind antrieb – und gerade das Konservative erfährt ja heutzutage eine denkwürdige Renaissance.

Was in der Humboldt-Inszenierung mit einem Schlaflied beginnt, wird mit einem anschwellenden Hip-Hop-Track schnell lauter: „Deutschland, deine Jugend“, heißt es, und dieser Verrat an der Jugend wird auch in diesem starken Auftaktbild, bei dem alle in Schwarz dastehen, angeprangert: „Wir haben lange genug angeklagt. Jetzt ist es an der Zeit zu verurteilen.“ Da bleibt natürlich kein Raum für ein Happy-End: „Wer unsere Träume raubt, bringt uns den Tod“, steht zum Schluss als Essenz im Raum.

„Wir haben etwas Eigenes daraus gemacht“, sagt die Leiterin Schaffernicht. Aber wie viel ist denn noch drin von Wedekinds gealtertem Originaltext? „Nichts“, sagt sie knapp. Das Stück ist vielmehr eine situative Adaption: „Die Grundaussage ist natürlich erhalten geblieben.“ Aber für die Struktur der Handlung wurden eigene Worte in einer eigenen Geschichte verwendet, die von den Schülern entwickelt wurde. „Die haben mich ganz schön gequält“, grinst Schaffernicht unter dem Protest der Schüler. Aber immerhin: Seit März hat die 12. Klasse keine Schule mehr, am Wochenende gibt es die Abi-Zeugnisse. Trotzdem hängen sie noch im Humboldt-Gymnasium ab und arbeiten an dem Stück.

Und das hat diese jugendliche Frechheit, die Wedekinds Original mal eben einer Frischzellenkur unterzieht: Während Moritz in einer Szene davon träumt, nach Amerika auszuwandern, seufzt eine Mitschülerin von ihm, dass sie bisher nur in Polen zum Zigarettenkaufen gewesen sei. In einer anderen Szene gibt es ein Streetdance-Battle zu Hip-Hop – „ein bisschen wie Westside Story“, sagt Schaffernicht. Na ja, nur ein bisschen. Aber das hat „Frühlings Erwachen“ auch gebraucht: Denn im Hier und Jetzt ist ein Scheitern leider immer noch nicht überflüssig geworden. Oliver Dietrich

„Frühlings Erwachen“ ist am heutigen Dienstag sowie am Donnerstag jeweils um 19.30 Uhr im Theatersaal des Humboldt- Gymnasiums, Heinrich-Mann-Allee 103, zu sehen.

Oliver Dietrich

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