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Landeshauptstadt: „Dicke Bäuche sind nicht das Problem“

Bernhard Roetzel, Modejournalist und Autor, über Anzugträger in der Prignitz, Punks und Humphrey Bogart

Herr Roetzel, Sie fahren gerade im Auto durch die Prignitz. Wie sind Sie gekleidet?

Ich trage eine Kordhose, ein kariertes Hemd und einen grünen Janker aus gewalkter Wolle, die ist besonders angenehm.

Ein Janker geht auch in der Prignitz?

Hier kann man alles tragen. Aber wenn ich nach einem Termin im dunklen Anzug noch schnell in den Supermarkt gehe, dann falle ich schon auf. Auch im Regionalzug ist man hier als Anzugträger relativ einsam, aber ich glaube, das ist im Ruhrgebiet oder im Randgebiet von München ähnlich.

Sie haben nun Ihr drittes Modebuch veröffentlicht: „Der Gentleman nach Maß“ über maßgeschneiderte Herrenkleidung. Darin geht es vornehmlich um den Anzug des Mannes.

Ja, und auch in der Prignitz braucht man Anzüge, zur Hochzeit, zur Taufe, zur Beerdigung. Der Anzug setzt dabei immer das Signal: Es geht um etwas Besonderes. Der Anzug ist das Herzstück der Maßschneiderei. Aber 90 Prozent aller Aufträge sind Geschäftsanzüge, also Berufsbekleidung. Ein kleiner Anteil ist dann für die Männer, die das aus Spaß, aus Liebhaberei machen. Aus Tradition, weil es der Vater auch so gemacht hat, oder die lange sparen und sich alle drei Jahre einen Anzug gönnen, den sie dann allerdings auch lange tragen.

Wie viele haben Sie selbst im Schrank?

Die genau Zahl sage ich nicht – mehr als fünf und weniger als 50. Da ist auch Maßkonfektion dabei, Anzüge vom Flohmarkt, aus dem Secondhandladen oder von Ebay, und manches ist mehr als 15 Jahre alt. Ich gehe selten einkaufen.

Worum geht es Ihnen in Ihren Büchern? Um das Produkt Kleidung oder um das Nachdenken darüber?

Es geht um die Haltung zur Kleidung. Ich möchte zeigen, dass Kleidung kein Konsum- oder Wegwerfprodukt ist und nicht ständig einem Trend unterliegen muss. Gute Kleidung zeugt von Individualität einerseits und Understatement andererseits. Man sieht ja kaum, wenn jemand einen Maßanzug trägt, da klebt kein dickes, auffälliges Label dran. Klar, es gibt auch Typen, die jedem gleich erzählen, was sie da auf dem Leib haben. Aber den meisten geht es um ihr ganz persönliches, bescheidenes Vergnügen.

Aber so bescheiden ist das doch gar nicht, wenn die Preise für einen Anzug bei 2800 Euro beginnen, wie Sie schreiben.

Für mich ist gute Kleidung und auch Maßkleidung mein Hobby, so wie andere teure Oldtimer oder Modelleisenbahnen sammeln. Ich habe keine teuren Autos.

Und was hat der Träger eines Maßanzugs davon, wenn man es nicht einmal sieht?

Man sieht es ja doch irgendwie. Es ist wie mit einem Haarschnitt: Wenn er schlecht ist, dann fällt das auf. Ein Maßanzug ist eins mit der Person, dem Träger. Da ist alles korrekt. Und es ist einfach ein gutes Tragegefühl. Er gibt mir die Sicherheit, dass ich immer gut aussehe. Ich bin damit überall auf der Welt gut angezogen.

Wurden Sie auf Ihr Aussehen schon einmal angesprochen?

Ja, einmal hat sogar ein schnorrender Punk anerkennend zu mir gesagt, ich sehe gut aus. Wie Humphrey Bogart.

Vielleicht auch, weil er ähnlich wie Sie auf sein Erscheinen, seine Wirkung achtet. Und wie ist das dann bei Frauen? Die kaufen ja meist von der Stange.

Frauen wurde eingehämmert, sich dem schnellen und ständigen Wechsel der Mode zu unterwerfen. Wenn sie dann trotz der Fülle oft nichts finden, was passt, das ist frustrierend. Und doch gibt es nur wenige Frauen unter den Kunden der Maßschneider. Die Potsdamer Maßschneiderin Kathrin Emmer – übrigens auch eine der wenigen unter all den Männern in dieser Branche – hat für eine Kundin einen Mantel geschneidert nach dem Vorbild eines Stücks aus den Siebzigern, aber eben ganz individuell für sie. Die Kundin war am Ende sehr glücklich – auch wegen des Erlebnisses.

Was für ein Erlebnis?

Im Mittelpunkt zu stehen. Umsorgt zu werden. Sich eben nicht für Figurprobleme entschuldigen zu müssen.

Wie viele lassen sich denn etwas anfertigen wegen vermeintlicher Figurprobleme?

Das sind die Wenigsten. Es stimmt natürlich, dass man selbst mit Bauch in einem Maßanzug immer schick aussieht, im Gegensatz zur Konfektion. Aber der Schneider hat am liebsten die Kunden, die elegant aussehen, unauffällig. Im Übrigen sind dicke Bäuche gar nicht das Problem. Die größte Herausforderung sind Männer mit athletischem Körperbau, Männer aus dem Fitnessstudio mit extremem Brustkorb und schmalen Hüften. Arnold Schwarzenegger kann nur Maßkleidung tragen.

Woran erkenne ich einen guten Schneider? An englischen Stilmöbeln und Orientteppichen?

Die gibt es ja nicht überall, auch wenn es oft dazu gehört, bis hin zum Gin Tonic bei der Anprobe, der tatsächlich eine Funktion hat. Der Alkohol soll den Kunden entspannen, damit er in natürlicher Körperhaltung und nicht stocksteif dasteht. Also, am besten ist eine persönliche Empfehlung. Oder man informiert sich im Internet. Vertrauen gehört schon dazu, jemandem viel Geld zu zahlen für etwas, das man am Anfang gar nicht sieht. Manche bekommen bei der ersten Probe sogar einen Schreck, wenn sie das provisorisch zusammengeheftete Teil aus dem schönen teuren Stoff sehen. Aber es lohnt sich. Ich glaube, viele Männer wissen gar nicht, wie gut sie aussehen könnten.

Fragen Sie bisweilen auch Ihre Frau um Rat?

Ich finde, die elegantesten Paare sind die, bei denen sich jeder selbst anzieht und keiner dem anderen reinredet.

Am 13. Dezember um 15 Uhr stellt Bernhard Roetzel sein Buch „Der Gentleman nach Maß“ im Ullmann-Verlagshaus in der Birkenstraße 10 vor. Zu Gast ist die Potsdamer Maßschneiderin Kathrin Emmer. Das Gespräch führte Steffi Pyanoe

Bernhard Roetzel, 48, ist Modeexperte und Autor. Sein Buch „Der Gentleman nach Maß“erschien beim Potsdamer Verlag Ullmann-Publishing. Roetzel lebt mit seiner Familie in der Prignitz.

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