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Homepage: Die Aufklärung als Geschenk

Prof. Karl Erich Grözinger erwarb für die Universität Potsdam die Aschkenasy-Sammlung

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Prof. Karl Erich Grözinger erwarb für die Universität Potsdam die Aschkenasy-Sammlung Von Moritz Reinighaus Karl Erich Grözinger musste Überzeugungsarbeit leisten. Denn lange Zeit war es für Yehuda Aschkenasy unvorstellbar, dass seine über ein ganzes Leben hinweg gesammelte Bibliothek eines Tages ihren Platz in Deutschland finden würde. Ausgerechnet in dem Land, in dem man versucht hatte, alle Spuren jüdischen Lebens auszulöschen. In dem Land, aus dem er selbst vor den Nazis geflohen, dann aber gefasst und in die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald deportiert worden war. Also fuhr Grözinger, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam, nach Holland und besuchte Aschkenasy. Ausgedehnte Gespräche mit dem 1924 bei Breslau geborenen Rabbiner und Professor für Judaistik ebenso wie ein Gegenbesuch in Potsdam waren nötig, um die Bedenken des Sammlers zu zerstreuen. Doch nicht nur die bald entstandene Freundschaft zwischen Grözinger und seinem Kollegen, sondern auch das rege Interesse der Potsdamer Studenten an jüdischen Themen sowie die hier praktizierte Rabbinerausbildung konnten Aschkenasy letztendlich davon überzeugen, dass seine Bibliothek in Potsdam gut aufgehoben ist und durch ihre wissenschaftliche Nutzung weiterleben wird. Doch nun lag die nächste Hürde vor Grözinger: Rund 100 000 Euro musste er bei Stiftungen und Institutionen auftreiben. Auch das war keine leichte Aufgabe, selbst wenn der Preis der einzelnen Bände weit unter den üblichen Antiquariatspreisen lag. Doch nun ist die rund 5600 Bände umfassende Bibliothek in Potsdam angekommen. Ihr Herzstück besteht aus den Überresten der Bibliothek der ehemaligen „Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt“ zu Berlin. Veitel Heine Ephraim, der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde und Hofjuwelier Friedrichs des Großen, hatte 1775 testamentarisch verfügt, dass ein Teil seines Erbes auf die Einrichtung eines Lehrhauses verwendet werden solle. Die Lehranstalt nahm bereits zu Lebzeiten ihres Stifters den Betrieb auf, 1783 wurde sie offiziell eröffnet. Im Lauf der Jahre entwickelte sie sich zu einem wichtigen Ort für die wissenschaftliche Erforschung des Judentums und war somit ein Vorläufer der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Bedeutende Forscher und Geistliche der beginnenden jüdischen Moderne wie Leopold Zunz, Moritz Steinschneider oder Abraham Geiger forschten und lehrten hier. Bis in die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hatte die Lehranstalt Bestand, dann wurde sie im Zuge der Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden zerschlagen – und mit ihr die rund 350, oft mehrbändige Titel und zahlreiche Erstausgaben umfassende Bibliothek. Besonders wertvoll war der Bestand durch handschriftliche Kommentierungen der in der Lehranstalt tätigen Persönlichkeiten. Nach 1945 galt die Bibliothek als verschollen – bis in den siebziger Jahren einzelne Bände in Niederländischen Antiquariaten auftauchten, wo Yehuda Aschkenasy immerhin 83 Titel käuflich erwerben konnte. Von der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Ephraimschen Bibliotheksbestandes erhofft sich Grözinger neue Einblicke in die bislang nur wenig erforschte Geschichte der einflussreichen Einrichtung, die bis 1841 vorrangig ein Beth ha-Midrasch, ein religiöses Lehrhaus, war. Erst ab 1856 habe sich die Einrichtung, so Grözinger, ein wissenschaftliches Profil gegeben. Mithin sei keine Literatur aus der Aufklärung vorhanden gewesen, diese sei der Lehranstalt durch Buchstiftungen erst im Nachhinein zum Geschenk gemacht worden. Durchaus noch ältere Schmuckstücke aus Aschkenasys Sammlung dokumentieren die Kultur des hebräischen Buchdrucks, manche bis ins 17. Jahrhundert. Darüber hinaus umfasst die Gelehrtenbibliothek einen großen Teil an modernen kritische Textausgaben und Forschungsliteratur, die sich nach Grözingers Angaben nahtlos in die bestehenden Bibliotheksbestände der Universität einpassen. Zudem beinhaltet die Sammlung hebräische Handschriften aus dem Jemen des 17. und 18. Jahrhunderts. Morgen findet anlässlich des Bibliothekserwerbs eine Konferenz an der Universität statt, bei der auch Yehuda Aschkenasy sprechen wird. Programm unter: www.uni-potsdam.de/db/religion/aktuell.php

Moritz Reinighaus

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