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Landeshauptstadt: Die biestigen Biester

Bei den „Chilischoten“ kicken Mädchen, anders als in manchen Vereinen, ohne Druck und Freizeitstress

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Was ist einem Mädchen heutzutage wichtig? Etwa das Tokio-Hotel-Poster an der Wand? Oder aber die neuesten Schminktipps? Für elf Mädchen aus Potsdam ist es das Fußballspielen, das einen hohen Stellenwert in ihrem Leben eingenommen hat. „Wir haben hier einfach so viel Spaß. Und Freunde haben wir dadurch auch schon gefunden“, sagt die 14-jährige Anni Kuhnert, Freizeitfußballerin bei den Potsdamer „Chilischoten“. Sie sind vergleichbar mit den „Biestigen Biestern“ bei den „Wilden Kerlen“: ungezwungen, unabhängig und fußballbegeistert.

Die Mädchen-Fußballgruppe hat sich bereits vor etwa vier Jahren zusammen getan. Seither werden die Mädels von dem Sozialpädagogen Gregor Voehse zweimal in der Woche betreut und trainiert. „Mir ist extrem wichtig, dass die Individualität der Mädchen gefördert wird“, sagt er. Der Sozialpädagoge hat dabei ganz spezielle Ansichten, was das Trainieren eines Fußballteams betrifft: „Wenn man einmal auf Vereinsebene schaut, sieht man, dass dort nur die Leistung zählt. Aber Leistungsdruck haben die Kinder schon in der Schule – hier soll der Spaß zählen“, sagt er. Dabei sei es sogar egal, wie regelmäßig die Mädchen zum Training erscheinen, niemand solle sie zwingen. „Ich würde mich selbst nicht als antiautoritär bezeichnen, sondern eher als nichtautoritär“, so Voehse. Mitmachen darf jeder, der möchte. „Wir schließen niemanden aus, nur weil er oder sie nicht so fit ist oder weniger gut spielen kann. Das ist aber genau das, wonach Vereine selektieren. Ich sage: Das kann auch anders gehen“, so Voehse.

So bildet er seine Mannschaften etwa nicht nach Leistungskriterien, sondern per Zufallsprinzip. Die Mädels können einfach so sein, wie sie sind, sie müssen sich nicht verstellen oder sich „sinnlosen Regeln“ unterwerfen, sagt der Sozialpädagoge. Die Individualität zu fördern sei das wichtigste, alles andere sei kontraproduktiv, nur so könnten Potenziale entdeckt und gefördert werden. Vier der „Chilischoten“ waren sogar schon einmal bei Turbine Potsdam. Regeln wie Strafgeld bezahlen, wenn nicht geduscht wird, oder Noten, die streng nach Leistung verteilt werden, mussten die Teenager erfahren. „Hier wird man nicht so getriezt. In den Vereinen zählt nur die Konkurrenz“, sagt Miriam Schmidt. Die 15-Jährige verließ Turbine nach einem dreiviertel Jahr wieder: „Bei den Chilischoten konnte ich Fußball wieder ganz neu erleben.“

Dass sich die Mädchen aber nie einem Verein anschließen werden, sei aber damit nicht gesagt, sagt Voehse: „Mit Concordia Nowawes 06 sprechen wir über eine Mitgliedschaft.“ Denn dieser Verein biete das, was er sich unter richtigem Fußballtraining vorstelle.

Entstanden ist Concordia durch einen Zusammenschluss von Eltern, deren Kinder Fußball spielen wollen, aber von anderen Vereinen enttäuscht wurden. Alexander Kallenbach, der Vorsitzende von Concordia Nowawes 06, erklärt die Philosophie des Clubs: „Wir stellen Pädagogik in den Vordergrund und nicht Leistungsdruck. Auch das kleine, etwas untersetzte Kind soll mitmachen dürfen.“ Dies sei ein wichtiger Punkt zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Die Besseren sollen lernen, die Schlechteren zu unterstützen. „Das Hauptproblem vieler Vereine scheinen die psychologischen Defizite der Trainer zu sein, rein pädagogisch haben die oft gar nichts drauf“, sagt Kallenbach. Es ginge dabei nicht darum, die Kinder wahllos umhertoben zu lassen, denn Strukturen und Grenzen benötigen sie schon, sie sollten aber individuell gefördert werden, ohne Stress und Druck zu spüren. Die „Chilischoten“ werden solche Sätze gern hören.

Sabine Blumrich

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