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Landeshauptstadt: Die bösen Plattenbauten

Der Autor Daniel Höra lässt seinen Jugendroman „Gedisst“ im brandenburgischen Schwedt spielen

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Graue Plattenbauten, in denen arbeitslosen Väter und ihre großmäuligen Jungs leben, vereint in Perspektivlosigkeit; Alkohol für den Fluchtsuff vor der Zukunftsangst; angestaute Wut, Gewalt in leeren Betonblocks vor dem Abriss, Neonazis an jeder Ecke – und dann auch noch ein Raubmord an einer wehrlosen Rentnerin. Dieses derart trostlose Bild eines ostdeutschen Wohngebiets entwirft der Autor Daniel Höra, Jahrgang 1965, in seinem Debüt-Roman „Gedisst“, der in diesen Tagen erschienen ist.

Angesiedelt hat Höra seine Geschichte im brandenburgischen Schwedt, ein Ort, der dank vieler Reportagen in Funk und Fernsehen sowieso als nicht gerade lebenswert gilt. Dieses Klischee bedient Höra das gesamte Buch über mit merklichem Genuss. Bestes Beispiel ist schon seine Hauptfigur Alex, der mit seinem alkoholkranken Vater mitten im Schwedter Plattenbaugebiet wohnt. „Mama war rechtzeitig gestorben, die musste das wenigstens nicht mehr mitmachen“, sagt der 14 Jahre alte Junge gleich zu Beginn über sein Leben in der Kleinstadt an der Oder.

Doch ist Frust für Alex bald nur noch ein Randproblem, als er unter dringenden Mordverdacht gerät: Er soll eine alte Frau getötet haben, nachdem er ihr ein paar Einkaufstaschen in die Wohnung gebracht hat. Zeugen haben ihn mit dem Opfer im Hausflur gesehen. Zudem findet die Polizei bei Alex einen Geldschein aus dem Besitz der Toten, den er ihr tatsächlich auch aus der Küche geklaut hat. So glaubt dem Junge niemand, als er vehement seine Unschuld beteuert. Und schließlich muss Alex selbst anfangen, den wahren Mörder zu suchen. Einfach ist das nicht: Die Presse stempelt ihn ab, einstige Freunde meiden ihn, Neonazis wollen den Tod der alten Dame gar per Lynchjustiz rächen

219 Seiten dauert die spannende Geschichte. Wegen vieler überraschender Wendungen lesen sich die Zeilen flüssig und schnell, die Sprache ist einfach und meistert die schwierige Balance zwischen Jugendslang und Erwachsenen-Deutsch. Dennoch bleibt ein unangenehmer Eindruck, weil Schwedt fast schon als eine Art Vorhölle vorgestellt wird. Die Figuren in diesem Nicht-Ort bleiben Klischees, die Welt von Alex scheint nur aus hyperaggressiven Neonazis, alkoholkranken Arbeitslosen und anderen Versagern zu bestehen. Ausnahmen sind selten, wer clever ist, steht bereits kurz vor dem Umzug in die gelobte Stadt Berlin.

Nuancen in dieser trostlosen Schwedt-Welt fehlen, der Hannoveraner Autor hält Differenzierungen offenbar nicht für nötig. Letztlich bleibt dem jungen Leser nur das freudige Aufatmen, nicht in solch bösen Vierteln leben zu müssen. Die Lehre bleibt, die Leute von dort nur mit Vorsicht zu genießen. Wer also selbst in solch einem Gebiet wohnt, darf sich mit „Gedisst“ durchaus zum Ghettokind abgestempelt fühlen. Henri Kramer

Daniel Hörat Shift: Gedisst. Das Buch ist am Berlin-Verlag erschienen. Es kostet 9,90 Euro.

Henri KramerD

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