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Statt auf Erdöl setzt die Hydrothermalchemie auf Pflanzen, Wasser und Hitze. Der Chemiker Daniel Kopetzki hat Verfahren entwickelt, um günstig Malariamittel und Bio-Lösungsmittel herzustellen
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Daniel Kopetzki drückt auf einen Knopf und die Pumpe springt an. Eine tiefrote Flüssigkeit wird aus einer kleinen Flasche in einen dünnen Schlauch gesaugt. Durch einen zweiten Schlauch gelangt Sauerstoff dazu. Spiralförmig windet sich der Schlauch, in dem nun rote Flüssigkeit und farbloses Gas abstrakte Muster erzeugen, um eine schmale Glasplatte, die von einer Lampe bestrahlt wird. Am Ende der kleinen Apparatur tropft es – nun etwas blasser – in eine zweite Flasche.
Eine Pumpe, zwei dünne Schläuche, eine Lichtquelle - mit diesen einfachen Geräten stellt Daniel Kopetzki, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm (MPI), ein hochwirksames Malariamittel her. Artemisinin heißt die Substanz, die bereits seit Jahrzehnten erfolgreich gegen Malaria eingesetzt wird und bisher aus einem unscheinbaren Kraut - dem Einjährigen Beifuß – aufwendig extrahiert wurde. Nur etwa 0,7 bis ein Prozent der getrockneten Pflanzenmasse besteht aus dem Wirkstoff. Das Mittel ist entsprechend teuer und steht deswegen auch nicht allen Malaria-Patienten zur Verfügung.
Mit dem Artemisinin-Reaktor haben Wissenschaftler des MPI nun einen neuen Weg der Artemisinin-Gewinnung eingeschlagen. Statt wie bisher den Wirkstoff zu extrahieren, wird er aus einer Vorläufer-Substanz, die in hoher Konzentration in der Pflanze enthalten ist, als Abfallprodukt der Extraktion anfällt und außerdem mit biotechnologischen Verfahren hergestellt werden kann, synthetisiert. Dihydroartemisininsäure – so der Name des Stoffs – wird in einer Reaktion mit aktiviertem Sauerstoff zu wertvollem Artemisinin umgewandelt. Um den Sauerstoff zu aktivieren, muss das Gemisch mit Licht bestrahlt werden. „Die Reaktion kann nur dort stattfinden, wo Licht einfällt“, erläutert Kopetzki, der derzeit an der Optimierung des im Jahr 2011 entwickelten Verfahrens arbeitet. Damit jeder Milliliter des Reaktionsgemisches ausreichend beleuchtet wird, fließt es durch ein lichtdurchlässiges System aus hauchdünnen Schläuchen. Das patentierte Verfahren ermöglicht es, den Wirkstoff in größeren Mengen und wesentlich preiswerter als bisher herzustellen. „Mit diesem System können wir pro Tag 150 Gramm Artemisinin herstellen“, erklärt Kopetzki. Etwa 3 000 Reaktoren dieser Art seien notwendig, um den weltweiten Bedarf zu decken, so der Wissenschaftler. Ende dieses Jahres könnte das Verfahren marktreif sein, hofft Kopetzki.
Für den Chemiker ist jedoch auch ein weiterer Aspekt des Verfahrens interessant: Nur ein Bruchteil der pflanzlichen Biomasse findet Verwendung. Der Rest wird als Abfallprodukt kompostiert oder verbrannt. Wie man aus diesen und anderen organischen Abfällen Grundstoffe für die chemische Industrie gewinnen kann, untersuchte der 29-Jährige in seiner Dissertation, die er im Jahr 2011 am MPI abschloss. Für seine Forschungen auf diesem Gebiet erhielt Kopetzki im vergangenen Jahr den mit 20 000 Euro dotierten Brandenburgischen Nachwuchswissenschaftlerpreis.
Die chemischen Verfahren, die der Chemiker in seiner Promotion angewendet hat, fallen unter den Begriff Hydrothermalchemie. Die Reaktionen laufen hierbei in Wasser und unter hohem Druck und hohen Temperaturen ab. „Das kann man sich wie in einem Schnellkochtopf vorstellen: Durch den hohen Druck wird Wasser auf über 100 Grad Celsius erhitzt“, verdeutlicht Kopetzki. Seine Versuche führte der Forscher sogar bei 200 bis 300 Grad Celsius durch. Das Besondere: Unter diesen Bedingungen laufen chemische Reaktionen sehr schnell ab. Mitunter treten auch neue, überraschende Reaktionen auf. Zudem werden keine chemischen Lösungsmittel oder Katalysatoren, die häufig sehr umweltschädlich sind, benötigt. Auch seltene Edelmetalle können eingespart werden. „Diese Chemie ist sehr nachhaltig“, betont der Forscher. Da Bioabfälle als Ausgangsstoffe verwendet würden, trete auch keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion auf.
Zahlreiche Reaktionen mit verschiedenen organischen Ausgangsstoffen, einfachen chemischen Reagenzien und unterschiedlichen Reaktionszeiten ließ Kopetzki in seinem Labor durchlaufen. Nach etlichen Versuchen und viel Fingerspitzengefühl entdeckte er ein Verfahren, bei dem aus Lävulinsäure - einer Verbindung, die sich einfach und schnell aus pflanzlicher Biomasse herstellen lässt - die wichtige Basischemikalie gamma-Valerolacton entsteht. Diese gilt als „grünes“ Lösemittel und ist auch für Biokraftstoffe von Bedeutung. Sogar Kunststoffe ließen sich mit diesem Ausgangstoff herstellen, erklärt Kopetzki.
Bislang wurde die Hydrothermalchemie trotz der vielversprechenden Möglichkeiten eher stiefmütterlich behandelt. Der Grund: „Die Chemie basierte bisher auf Erdöl, und dieses war billig“, macht Chemiker Kopetzki deutlich. Doch der junge Wissenschaftler ist überzeugt: „Das wird sich ändern.“ In den nächsten Jahren werde angesichts sich erschöpfender Ölquellen die Bedeutung von Hydrothermalchemie und anderen modernen Technologien steigen.
Heike Kampe
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