HEYES Woche: Die digitale Zukunft erforschen
Jeder, der am Computer arbeitet – also wir alle – hat es schon einmal erlebt: Der Text ist weg. Manchmal ist es ja nur ein kurzer Text, der sich im Nirgendwo der digitalen Welt entmaterialisiert hat; manchmal hilft die segensreiche „Rückgängig“-Taste.
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Jeder, der am Computer arbeitet – also wir alle – hat es schon einmal erlebt: Der Text ist weg. Manchmal ist es ja nur ein kurzer Text, der sich im Nirgendwo der digitalen Welt entmaterialisiert hat; manchmal hilft die segensreiche „Rückgängig“-Taste. Aber hoffentlich geschieht nicht oft, was mir passiert ist: Das Manuskript für ein Buch war gerade mit dem finalen Kapitel beendet und dann – alles weg. Hektisches Tastendrücken, hektisches Suchen auf der leider ungeordneten Festplatte Es blieb dabei: Alles weg und nichts taucht wieder auf. Das war vor ein paar Jahren in New York, und nicht ich war schuld, sondern der Blackout. Plötzlich fiel der Strom aus, nicht nur mein Bildschirm war schwarz und leer – ich war um ein Kapitel meines damals ersten Buches ärmer. Leider hatte ich den Text nicht permanent gesichert, sondern permanent geschrieben. Und der Computer ist eben keine Schreibmaschine, wo das Geschriebene mit und ohne Schreibfehler lesbar bleibt, notfalls aufzufinden im Altpapier. Der Computer ist trotzdem meist hilfreich und oft gut. Man kann Absätze nach hinten oder vorn schieben oder Satzfolgen mühelos von Seite zwanzig auf Seite 100 verbringen. Nicht wegzudenken aus dem Leben eines Menschen, der als Autor von Büchern sein Geld verdient. Schnell mal googeln, wenn eine wichtige historische Jahreszahl gesucht, ein komplizierter Name richtig buchstabiert werden muss.
Er hat unser aller Leben verändert. Man braucht aber schon eine Machete, um sich den Weg im Datendschungel freizuschlagen, um freie Sicht zu haben auf den Berg der Erkenntnis (der sich dennoch oft genug als die Müllhalde schlichten Blödsinns entpuppt). Die Müllhalde wächst wie alle Müllhalden und auf ihr jede Form menschlicher Niedertracht. Da wird gehackt und denunziert. Anonyme Giftpfeile, jeder gegen jeden, hässlich, würdelos; mancher ist diesem Schwall von Zumutungen nicht gewachsen. Kinderpornos, Giftseiten der alten und neuen Nazis. Und nicht zuletzt die Ausforschung des Konsumenten. Der gläserne Mensch ist längst Wirklichkeit. Auch wer nur Bücher bestellt oder auf Ebay mitbietet, gibt schon vieles über sich preis. Nun will sich die Wissenschaft mit einem Forschungsprojekt darum kümmern, „die vom Internet ausgelösten Veränderungen in der Gesellschaft besser zu verstehen“. Hoffentlich hilft es, die Chancen zu nutzen und die Risiken zu minimieren. Die beteiligten Berliner Universitäten und Institute versichern, dass sie diese Aufgabe in voller Unabhängigkeit leisten werden, obwohl Google die Anschubfinanzierung für die nächsten drei Jahre übernimmt, mit immerhin 4,5 Millionen Euro. Am Ende soll die „Mitgestaltung (aller Gruppen) in der digital vernetzten Zukunft“ ermöglicht werden, so die Hoffnung. Und die stirbt bekanntlich zuletzt.
Uwe-Karsten Heye schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor war Redenschreiber bei Willy Brandt und Regierungssprecher von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heute lebt Heye mit seiner Familie in Babelsberg und arbeitet dort als Autor und Publizist.
Uwe-Karsten Heye
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