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Von Lene Zade: Die eigene Armee blieb in den Kasernen Tschechische Historiker über das Jahr 1968
Als vor 40 Jahren am 21. August militärische Einheiten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei einmarschierten, um den Prager Frühling zu beenden, schien eine Eskalation der Gewalt nur eine Frage der Zeit.
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Als vor 40 Jahren am 21. August militärische Einheiten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei einmarschierten, um den Prager Frühling zu beenden, schien eine Eskalation der Gewalt nur eine Frage der Zeit. Es brach jedoch kein Bürgerkrieg aus. Gewalttätige Aufstände gegen die plötzlich anwesenden Armeen so genannter Bruderstaaten blieben aus.
Die Historiker von heute zählen etwas mehr als 100 Todesopfer. Das Institut für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag erforscht die Umstände der Tode und die Lebensgeschichten der Opfer. Auf Einladung des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) stellte der Direktor Dr. Oldrich Tuma gemeinsam mit Dr. Jitka Svobodová in der Landeszentrale für politische Bildung die vorläufigen Ergebnisse vor.
Die überwiegende Mehrheit der Opfer wurde nicht im Kampf, sondern durch Unfälle getötet. Aber sie alle wären nicht auf diese gewaltsame Art gestorben, wenn es keine Invasion gegeben hätte. So starben zwei Menschen durch den Einsturz eines Hauses, das von einem Panzer angefahren wurde. Andere kamen bei Verkehrsunfällen mit Militärfahrzeugen ums Leben. Dass tatsächlich nur so wenige starben, habe an der Art des Widerstandes gelegen, der „gewaltlos, kreativ und in vielerlei Hinsicht sehr erfolgreich“ gewesen sei, so Tuma. Ihn zu rekonstruieren und zu würdigen, beschrieb er als das vorrangige Ziel des Forschungsprojekts.
Seine Friedfertigkeit verdankte der Widerstand einer Vielzahl von sich in einander verzahnenden Aspekten. So sahen sich die einmarschierenden Truppen mit der Tatsache konfrontiert, dass die Tschechen und Slowaken enthusiastisch ihre eigene Regierung und den Reformkurs der Politik von Dubcek unterstützten. Konterrevolution sieht anders aus. Eine solche niederzuschlagen war jedoch der Auftrag der einmarschierenden Soldaten. Der erwartete Feind existierte aber nicht. Anders auch als bei dem Aufstand in Ungarn 1956 gab es keine Übergriffe und Lynchmorde an Kommunisten.
Als Höhepunkt des politischen Widerstandes in diesen Tagen kann der 14. Parteitag der KPC angesehen werden, der sich entschieden gegen die Intervention aussprach und den nach Moskau verbrachten Dubcek in seinem Amt bestätigte. Sogar die tschechoslowakische Armee weigerte sich, sich zum Verbündeten des Warschauer Paktes instrumentalisieren zu lassen. Sie blieb in den Kasernen und schoss nicht auf das eigene Volk.
In dieser Situation kam den Medien eine besondere Rolle zu, so Tuma. Die Printmedien und besonders der Rundfunk ließen sich nicht darin beirren, von den Ereignissen zu berichten – und wirkten gerade deshalb befriedigend auf die Bevölkerung, weil die Hoffnung blieb, dass der Reformkurs trotz allem durchführbar sei. Selbst als das Haus des Rundfunks eingenommen war, sendeten die Redakteure Stunden weiter. War ein Studio gestürmt und ausgeschaltet, sendete ein anderes. Das Gebäude war groß.
Solche Guerillataktik war typisch für den Widerstand: Um die Armeetrupps in die Irre zu führen, wurden Straßenschilder abmontiert und Wegweiser verstellt. Die Meinung des Volkes artikulierte sich in Graffitis, die die Straßen übersäten. Mitunter jedoch eskalierte die Situation. In Liberec starben sechs Menschen, weil die sowjetischen Truppen auf eine friedlich demonstrierende Menge schossen. In Prag wurde eine Studentin, die lediglich einer Straßenbahn hinterherlief, niedergeschossen.
In den folgenden Jahren wurde immer wieder versucht, das Gedenken an diese Toten zu verhindern. Improvisierte Denkmäler wurden abgebaut, Grabinschriften, die auf die Ereignisse verwiesen, über Nacht geschliffen. Ein völliges Verschweigen der Ereignisse im August 1968 war aber schon deshalb nicht möglich, weil zehntausende Menschen Berufsverbot erhielten. Es gab, trotz der wenigen Toten, kaum eine Familie, in der die Ereignisse nicht auch eine private Zäsur bedeuteten.
Lene Zade
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