Wissenschaft in Potsdam: Die Erde geht online
Mit professioneller PR gegen den Klimawandel: Klimaforscher und Medienexperten kooperieren
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Die Zeit drängt. „Das Klima wandelt sich so schnell, dass wir sofort handeln müssten“, sagt Jürgen Kropp. Das grönländische Eis schmilzt, der Meeresspiegel steigt, Dürrephasen dehnen sich aus, Unwetter nehmen zu. „Aber wir handeln einfach nicht“, sagt der Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Stattdessen fliegen Politiker um die halbe Welt, um auf Umweltgipfeln wieder zu keinem Ergebnis zu kommen. Kropp weiß das. Er hat sich darüber oft den Mund fusselig geredet, hat Flyer gedruckt und Pressemitteilungen verschickt. Kropp wurde gehört – doch verändert hat sich zu wenig. Dann wurde der Forscher zu einem Lobbyisten, einem Kommunikationsexperten für die gute Sache. Kropp gründete die Climate Media Factory. Seitdem hat der 52-Jährige ein besseres Gefühl.
Vor zweieinhalb Jahren wurde das gemeinsame Forschungsprojekt des PIK auf dem Telegrafenberg und der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Babelsberg initiiert. In einer Kreativfabrik sollten Expertise und Medienkompetenz gebündelt werden, um die Menschen schnell und leicht verständlich mit klimawissenschaftlichen Erkenntnissen zu erreichen. Mit Internetvideos, Computerspielen, Vorträgen, Fortbildungen, Apps für das Smartphone, Infoheften und Büchern wendet sich die Climate Media Factory an Verbraucher sowie Entscheider weltweit. Für die entwickelten „fundierten und ästhetisch überzeugenden Medienformate“ wurde das Projekt gerade für den Nachhaltigkeitspreis Clean Tech Media Award nominiert. Verliehen wird der Preis am 7. September im Berliner Tempodrom.
„Man kann den Klimafolgenforschern nicht die Medienaufgaben übertragen. Das ist nicht ihre Aufgabe“, sagt HFF-Professor Müller. Dafür würden an der Filmhochschule Medienmacher ausgebildet. „Die haben zu erforschen, wo die Kommunikationshemmnisse sind.“ Es gehe darum, Politik und Unternehmer zu beeinflussen „und auch bei Kindern und Jugendlichen das Verhalten zu ändern.“
Mit knapp 500 000 Euro wurde das Forschungsprojekt für drei Jahre von der Bundesregierung ausgestattet. Für das Geld verwirklichten 15 wissenschaftliche Mitarbeiter, darunter Dramaturgen, Klimawissenschaftler, Medienproduzenten, Medienwissenschaftler oder Marketing-Kaufleute, Ideen wie das „Earthbook“. Der Vier-Minuten-Film mit dem Untertitel „Die Erde geht online“ erreichte im Internet bereits knapp 240 000 Nutzer. Zu sehen ist in dem Video die Benutzeroberfläche eines sozialen Netzwerks wie Facebook. Der Zuschauer kann beobachten, welche Veränderungen der virtuelle Account der Erde erfährt. Mal wechselt der Status der Erde zu Fieber, mal wird sie von einem Meteoriten angestupst, mal lösen sich alte Freundschaften wie die zu den Dinosauriern.
Ähnlich erfolgreich ist auch der zweite Animationsfilm aus der Denkfabrik: Entstanden ist „We know enough about climate change – it is time for decisions now!” – (Wir wissen genug über den Klimawandel – jetzt ist Zeit für Entscheidungen) im Auftrag der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Für Kinder und Jugendliche gibt es außerdem das Computerspiel „Urban Seed“. Hier wirft ein kleiner Held mit Blumensamen um sich, um seine Umwelt zu begrünen. Das Spiel kann kostenlos über den Internet-Browser angesteuert werden.
„Der Klimawandel ist unvermeidlich“, sagt Klimaexperte Kropp. Die Wissenschaft habe das in vielerlei Hinsicht unterschätzt. „Die Botschaften sind durchaus besorgniserregend. Die Herausforderung ist, die CO2-Emission zu senken.“
Deshalb wollen die Chefs der Climate Media Factory es nicht bei kreativen Filmchen und Spielen belassen. „Wir brauchten zusätzliche Instrumente, um mehr Druck in den Kessel zu bringen“, sagt Kropp. So ist aus dem Forschungsprojekt längst auch ein Unternehmen geworden. In Fortbildungen, Vorträgen und Seminaren geben die Forscher Verwaltungsmitarbeitern, Politikern und Unternehmen aus aller Welt Nachhilfe in Sachen Klimaschutz. „Das ist ein großer Markt“, sagt Kropp. So erzielte die Unternehmergesellschaft im vergangenem Jahr einen Umsatz von knapp 400 000 Euro. Tendenz steigend.
Aktiv sind die Denkfabrikler auch in der Filmbranche. Sie geben Produzenten Anregungen, wie Filme umweltfreundlich und CO2-neutral produziert werden können. Auch zwei neue Studiengänge wurden im Rahmen des Projekts konzipiert, zudem soll es ein Buch geben und eine Audio-App für Smartphones. Geplant ist zudem eine Art Klimaagentur. Sie soll Medien mit Filmen, Tönen und Beiträgen zum Thema Umweltschutz versorgen. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit dem BMW Guggenheim Lab und dem Umweltministerium.
Im Herbst läuft die Anschubfinanzierung des Bundes für das Projekt aus. Neue Geldgeber und Quellen sind bereits gefunden. Nennen wollen Kropp und Müller sie noch nicht. „Alle, die bei uns bestellen, können sicher sein, dass wir keinen Humbug liefern“, sagt Müller.
Sich als Lobbyisten zu sehen, damit haben die beiden Forscher kein Problem: „Wir machen hier Klimaforschung nicht, weil wir glauben, dass sie falsch ist. Wir machen sie gerade deshalb, weil wir glauben, dass sich da ein Problem etabliert“, sagt Kropp. Allerdings: „Wenn wir Wissenschaftler konkrete Dinge zum Klimawandel herausbekommen, dann sind die meist komplex. Die Frage ist, wie kann man die Komplexität so reduzieren, dass die Politik damit etwas anfangen kann.“ Die Antwort liefern Kropp und Müller seit zwei Jahren.
www.climatemediafactory.de
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