Homepage: Die gehassten Freunde MMZ-Konferenz
zum Philosemitismus
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Das Interesse ist überwältigend. 170 Teilnehmer haben sich angemeldet, um im Rahmen einer wissenschaftlichen Konferenz über Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart zu diskutieren. Die Veranstaltungsräume des Alten Rathauses sind oft auf den letzten Platz besetzt, obwohl einige Vorträge parallel laufen und das Wetter zu ganz anderen Aktivitäten anregt.
Die Einladung des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ) scheint ganz offensichtlich einen Nerv getroffenen zu haben, was unter anderem daran liegen mag, dass der Begriff Philosemitismus zwar als Kategorie politischen, sozialen und kulturellen Handelns verstanden wird, über die Bewertung dieses Handelns aber ganz unterschiedliche Auffassungen herrschen. Ist jemand, der sich für das Judentum ernsthaft interessiert und sich dafür einsetzt, ein Philosemit oder versteckt sich hinter solchen beschützenden Gesten und der latenten Festschreibung von Juden als Opfer ein subtiler Antisemitismus, der die Stereotypen nur umdreht? Das Spannungsfeld von positiven und negativen Wertungen könnte kaum größer sein.
Umso hilfreicher war es, dass der Kirchenhistoriker Wolfram Kinzig gleich in seinem Eröffnungsvortrag eine systematische, historisch herleitende und persönlich engagierte Begriffsbestimmung bot. Schon die Wortkonstruktion Philo-Semitismus ist linguistisch gesehen irritierend, denn sie spricht gar nicht von speziell Jüdischem. Semiten sind allgemein Menschen, die eine der vielen semitischen Sprachen sprechen, etwa Arabisch. Judaeophil würde also das Gemeinte viel eher treffen. Aber es waren erklärte Antisemiten, die den Begriff erfanden und Philosemitismus zum Gegenteil von Antisemitismus deklarierten. Der deutschnationale Historiker Heinrich von Treitschke warf um 1880 allen, die nicht Antisemiten waren, vor, sich dem Jüdischen anzubiedern, sich zu Philosemiten zu machen. Wenig später aber wurde dieser Kampfbegriff von jüdischen Kreisen übernommen und durchaus positiv gewendet.
Als Wissenschaftsbegriff etablierte ihn erst Hans-Joachim Schoeps, Vater von MMZ-Direktor Julius H. Schoeps, dem zu Ehren aus Anlass seines 65-jährigen Geburtstages die Tagung bis einschließlich heute stattfindet. Im ersten Jahrgang der jüngst an der Uni Potsdam in Bedrängnis geratenen Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte veröffentlichte Hans Joachim Schoeps 1948 eine Artikelserie zum „Philosemitismus im 17. Jahrhundert“. Daraufhin setzte eine bis heute anhaltende breite Rezeption des Begriffs ein, die ihn zu einer wichtigen Kategorie insbesondere in der Geschichtswissenschaft machte. Die sich daraus ergebenden Perspektiven spiegelt das breite Tagungsprogramm wieder: von der Antike bis zur Reformation über die Aufklärung, die Weimarer Republik bis hin zu tagesaktuellen Debatten über den Umgang mit Israels Politik. Die immer wiederkehrende Frage, ob sich Philosemitismus auf Anti-Antisemitismus reduzieren ließe, wurde sehr unterschiedlich beantwortet.
Wie erhellend ein kritischer Fokus von Einzelanalysen auf die kulturelle Praxis sein kann, zeigte Frank Stern, der seinen Vortrag im Dialog mit zahlreichen Filmsequenzen aus 60 Jahren deutschem Nachkriegsfilm bot. Nicht nur die Materialfülle beeindruckte, sondern auch die Diagnose: in den etwa 300 bis 500 Spielfilmen, die jüdische Themen behandeln, von „Ehe im Schatten“ (1947) bis hin zu dem, von Stern wegen seiner Stereotypisierungen und historischen Fehlern kritisierten „Die Fälscher“ (2006), werden philo- und antisemitische Stereotype zunehmend ununterscheidbar. Die Bemühungen um korrekte Darstellung von jüdischer Alltagskultur münden mitunter in Kitsch oder eindimensionale Klischeebilder, etwa im Schimanski-Tatort „Das Geheimnis des Golem“ (2004). Der Film gebe nur das wieder, was das Publikum erwarte, verteidigte sich das Filmteam. Hier liegt der Verdacht nahe, dass die Begriffe Anti- und Philosemitismus nicht nur in der zweiten Worthälfte identisch sind. Lene Zade
Lene Zade
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