Homepage: Die Gesellschaft im Geschlecht
Antrittsvorlesung von Theresa Wobbe, Professorin für Geschlechtersoziologie
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Einem Geschlecht angehören bedeutete im 18. Jahrhundert vor allem eins: die Zugehörigkeit zu einem Familienverband. Geschlecht war eine Kategorie der Verbundenheit in einer Gesellschaft, die auf strukturelle Ungleichheit zwischen Ständen aufbaute. Unter dem Titel „Wie viel Gesellschaftlichkeit steckt im Geschlecht?“ fragte Theresa Wobbe in ihrer Antrittsvorlesung für die Professur für Geschlechtersoziologie an der Universität Potsdam kürzlich in einer Zeitreise von knapp 200 Jahren nach der Entstehung der modernen Sicht des Geschlechts in der westlichen Welt.
Mit der Aufklärung setzte ein grundsätzlicher Wandel ein. Alte Sozial- und Rechtsordnungen lösten sich auf und wurden abgelöst von einem neuen Ideal der Gleichheit. Das allerdings wurde zunehmend konterkariert von einem biologistischen Diskurs, der die Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Klasse, in Gruppen mit gegenteiligen Charaktereigenschaften teilte und hierarchisierte. Als stark, rational und intelligent galten die einen, als emotional und schutzbedürftig die anderen. Dass Frauen und Männer grundsätzlich verschieden seien, behauptet die populäre Ratgeberliteratur noch heute.
Den Grenzen und Spielräumen des Wandels der Geschlechterverhältnisse in den modernen Gesellschaften einer globalen Welt gilt das Forschungsinteresse von Theresa Wobbe, die Geschichte, Literatur, Philosophie und Psychologie studierte, bevor sie 1988 in Soziologie promovierte und sich 1996 habilitierte. In ihrer öffentlichen Vorlesung, die über die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hinaus auf großes Interesse stieß, machte sie darauf aufmerksam, wie sich die Etablierung der Geschlechterrollen auf die Entwicklung des modernen Arbeitsmarktes auswirkte.
Denn als sich mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ein Arbeitsmarkt herausbildete, der die Produktion aus der familiären Hauswirtschaft in die Fabriken verlagerte, entstand das moderne Konzept des Vollzeitbeschäftigten, der jederzeit seine ganze Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Ein ganz und gar männliches Konzept, das Frauen allenfalls als Arbeitskräfte mit geringerer Produktivität und anfälliger Gesundheit betrachtet. Als nicht-vollständige Arbeiter wurden sie rechtlich wie Kinder behandelt und zu einer Sonderkategorie auf dem Arbeitsmarkt, der ausschließlich Erwerbsarbeit als Arbeit definiert. Die gut gemeinten gesetzlichen Sonderregelungen wie das Nachtarbeitsverbot und die Begrenzung der Maximalarbeitszeit für Frauen zementierten diesen Status und hatten auch zur Folge, dass sie aus dem zentralsten Marktmechanismus, dem der Konkurrenz ausgeschlossen wurden. Da war es dann auch folgerichtig, ihnen berufliche Fortbildung vorzuenthalten. Ein Universitätsstudium wird Frauen erst seit dem 20. Jahrhundert erlaubt.
In den letzten 100 Jahren hat sich einiges verändert, Geschlechterdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt wurde 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verboten. Während nationale Gesetzgebungen noch einen eingeschränkten Status von Frauen festschrieben, forderten internationale Vereinbarungen zunehmend für alle Individuen gleiche Rechte in der Erwerbsarbeit. Die Tatsache jedoch, dass heute überwiegend Frauen in Teilzeit arbeiten und den damit verbundenen Ausgrenzungsmechanismen unterliegen, zeigt, dass sich die Bedingungen allenfalls graduell wandeln. Die Frage, wer unter welchen Bedingungen dazu gehört und wer nicht und wie dies begründet werde, sind für Wobbe grundlegende Fragen der Geschlechtersoziologie.
Mit ihren Ausführungen wies die geachtete Soziologin nicht nur auf die Konstruiertheit von Geschlechterrollen und ihre Dekonstruierbarkeit hin, sondern plädierte auch für eine stringente Methodenreflexion ihres Faches. Für die Potsdamer Geschlechtersoziologie markierte sie historische, institutionenbezogene und gesellschaftstheoretische Zugänge als besonders relevant. Lene Zade
Lene Zade
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