
© Andreas Klaer
Von Peer Straube: Die gute Seele der Säuglingsstation
Oberlin-Diakonisse Herta Hätscher feierte gestern ihren 100. Geburtstag
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Als sie geboren wurde, hat Florence Nightingale noch gelebt. Eine Legende. Die Begründerin moderner Krankenpflege und wohl die bekannteste Krankenschwester überhaupt. Nicht umsonst bemüht Pfarrer und Oberlin-Vorstandschef Matthias Fichtmüller diesen Vergleich. Denn auch Herta Hätscher ist eine Legende. Zumindest im Oberlinhaus – und in der gleichen Branche wie die berühmte englische „Lady mit der Lampe“.
Gestern ist Herta Hätscher, Diakonisse im Ruhestand des Oberlinhauses, 100 Jahre alt geworden. Geboren in einem kleinen Dorf nahe Posen, erfährt sie schon früh, was Leid heißt. Nach dem Ersten Weltkrieg mit ihrer Familie aus der Heimat vertrieben, kommt sie über Umwege in den Oderbruch. Die Bekanntschaft mit einer Diakonisse, ihrer Lehrerin, lässt die junge Frau eine Entscheidung treffen, die fortan ihr langes Leben bestimmen wird. „In unserer Oderbruchzeitung stand, dass es einen Mangel an Diakonissen gibt“, erinnert sich die Jubilarin. Auf der Stelle bewarb sie sich in drei Einrichtungen, einer in Frankfurt (Oder) – und bei der Hoffbauerstiftung auf Hermannswerder sowie dem Oberlinhaus. „Ohne meinen Eltern davon was zu sagen“, erzählt Herta Hätscher. „Wer antwortet, zeigt mir den Weg den ich gehen soll“, denkt sie schon damals. „Am nächsten Tag hatte ich schon Antwort“, sagt die 100-Jährige sichtlich gerührt.
Am 1. April 1931 beginnt sie als Probeschwester im Oberlinhaus in Babelsberg, 1937 wird sie eingesegnet, ein Jahr später macht sie das Examen als Krankenschwester. Ein Vierteljahrhundert lang, von 1943 bis 1968, ist sie Stationsschwester in der Kinder- und Säuglingsstation der Oberlinklinik. Unzählige Babys nimmt Herta Hätscher hier unter ihre Fittiche – und macht sie im Babelsberger Kiez bekannt. Das Bild der durch die Straßen radelnden Krankenschwester in ihrer klassischen Diakonissentracht haben noch heute viele Ur-Babelsberger vor Augen. Und mitunter kommt es zu einem späten Wiedersehen. Einer jener Säuglinge, die Herta Hätscher betreut hat, ist gestern zufällig zur Behandlung im Oberlinhaus. Dort erfährt die Frau von dem runden Geburtstag. „,Was, die lebt noch?’, hat sie gefragt“, erzählt Herta Hätscher amüsiert. Dann kam die Frau zu ihr und hat gratuliert. „Ich habe sie aber nicht erkannt“, sagt die alte Dame augenzwinkernd.
Als ihr die Arbeit in der Säuglingsstation zu anstrengend wird, lässt sie sich zur Gemeindeschwester machen und betreut nun wieder Kranke. 17 Jahre macht sie das, bis sie 1984 vom damals frischgebackenen Oberlin-Vorstandschef Friedrich-Wilhelm Pape in den Zwangsruhestand versetzt wird. „Da war sie jahrelang böse auf mich“, sagt Pape rückblickend. „Sie konnte einfach nicht aufhören.“ So richtig hat sie das bis heute nicht. Liebevoll kümmert sie sich über Jahre hinweg um die Pflege der Schwesterngräber auf dem Goethe-Friedhof. Pape beschreibt sie als „zurückhaltenden Menschen mit tiefer Verbundenheit zur Natur, Liebe zum Leben und hohem Pflichtbewusstsein“. Schwester Kerstin Metzner bestätigt das. Die Leiterin des Oberlin-Feierabendheims, in dem Herta Hätscher lebt, ist beeindruckt von der noch immer weitgehenden Selbstständigkeit der 100-Jährigen. Ihre Betreuung beschränke sich im Wesentlichen auf das „Bekocht-Werden“. Doch auch dazu leistet Herta Hätscher pflichtbewusst ihren Beitrag. „Jeden Tag schält sie die Kartoffeln für unsere ganze Senioren-WG“, sagt Metzner lächelnd. „Und das sind immerhin zwölf Leute.“
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