zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Die Handschrift des Hanseaten

Dieter Rauchfuß prägte als Schulleiter 20 Jahre das traditionsreiche Helmholtz-Gymnasium. Nun geht er in den Ruhestand

Stand:

Noch vierzehn Tage ist Dieter Rauchfuß Schulleiter des Hermann-von-Helmholtz-Gymnasiums. Doch ist es wie immer vor den Winterferien: Das neue Schuljahr will vorbereitet werden, er plant es mit den Kollegen. Rauchfuß sitzt in seinem Büro. „Die letzten Wochen sind wie die letzten 20 Jahre“; sagt der 65-Jährige ungerührt. Als ob es ihm nichts ausmacht, dass er Ende Januar in den Ruhestand geht, dass er die neuen Jahrgänge im August nicht mehr persönlich in der Aula begrüßen wird, so wie er es immer getan hat, um ihnen die Vorhaben im neuen Schuljahr zu schildern.

Rauchfuß ist das Urgestein unter den Schulleitern der städtischen Gymnasien. Er hat das Helmholtz-Gymnasium von der ehemaligen Erweiterten Oberschule zu dem renommierten Gymnasium geführt, das es heute ist: mit den besten Abinoten der Stadt, wenn nicht gar des Landes. Eine Schule mit Leistungs- und Begabungsklassen, einem mathematisch-naturwissenschaftlichen, einem musisch-orientierten und einem fremdsprachlichen Zweig. Eine Elite-Schule, die es auch sein soll: Die Schüler will Rauchfuß bestens auf die Anforderungen der Universität vorbereiten und Leistungsträger für die Gesellschaft hervorbringen. Fast alle Absolventen studieren, sehr viele sind Ärzte geworden, auch Informatiker, Wissenschaftler, Firmengründer. „Uns fehlt noch ein Nobelpreisträger“, sagt Rauchfuß trocken.

Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien tummeln sich die Helmholtz-Schüler im ganzen Haus. Sie präsentieren sich gegenseitig die Ergebnisse ihrer mehrwöchigen Projektarbeit: Rauchfuß schaut sich wohlwollend alles an. Er wippt mit bei dem Schlagzeugkonzert im Treppenhaus, in Anzug und Schlips wie immer, die Schultern leicht gebeugt. Im Keller gibt es ein Skatturnier am Computer. Die Jungs schleichen sich hinter ihrem Direktor schnell in den Raum. Der winkt ab: „Ein Schachturnier sähen wir natürlich gerne“, sagt er. Aber beim Spiel wolle er gar nicht stören. „Sonst bin ich Spielverderber.“ Auf der Treppe wünscht ihm ein kleines Mädchen im Vorbeigehen „Frohe Weihnachten“. „Dir auch“, antwortet Rauchfuß, „ und grüß mir deinen Bruder“.

Er spricht seine Schüler mit Namen an, plaudert mit ihnen, lobt und lacht und gibt sich locker. Rauchfuß ist das gutmütige, väterliche - oder doch eher großväterliche - Oberhaupt für rund 700 Schüler. Ärger gibt es wohl selten mit seinen Schützlingen. „Nur wenn einer mal die Contenance verliert“, so drückt er es aus. Rauchfuß sei ein Schulleiter, der für seine Schüler brennt, lobt Informatiklehrerin Silvia Handke. „Vielleicht bin ich manchmal etwas nachsichtig“, sagt er selbst, „wenn man die Menschlichkeiten spürt“. Das sei zwar gut für das Betriebsklima, „aber es bremst den Progress.“ Auch deswegen würde eine Veränderung nach all den Jahren der Schule guttun, meint er.

Das mit der Nachsichtigkeit allerdings sieht manch Lehrerkollege anders: Streng, manchmal auch rau im Ton in den Konferenzen, so sei Dr. Rauchfuß auch. „Wenn er unzufrieden ist mit der Arbeit, dann hat er ein paar Zeilen ins Fach gelegt: Bitte um sofortige Klärung!“, sagt die Lehrerin, die ihn seit Anbeginn kennt.

Überhaupt die Anfänge: 1991 kam Rauchfuß an die Helmholtz-Schule. Er, der gebürtige Bremer, der in Westberlin aufgewachsen ist und dort als Lehrer und Ausbilder von Referendaren arbeitete. Potsdam erinnert er als vernachlässigte Stadt: „Ich habe noch das Graue, das furchtbare Graue, das in Mitleidenschaft Gezogene gesehen.“ Rückblickend aber war es für ihn eine „sehr glückliche Zeit“. Frischen Wind habe er damals in die Schule gebracht, sagt er. Die Russischklassen abgeschafft, für die es keine Schüler mehr gab. Doch es blies ihm auch ordentlich Gegenwind entgegen. In Gestalt eines eingefleischten Ost-Teams von 50 Lehrern, die dem neuen Wessi-Chef vor allem mit Skepsis und Misstrauen begegneten „Wir haben es ihm nicht leicht gemacht“, erinnert sich die Kollegin.

Statt Russisch gibt es heute Spanisch-Leistungskurse und eine Chinesisch-AG. Das Helmholtz ist Europa-Schule mit Fachunterricht auf Englisch und Partnerschulen auf dem ganzen Kontinent. Auch das ist Rauchfuß’ hanseatische Handschrift: eine Schule, die den Geist von Liberalität und Weltläufigkeit versprühen soll. „Für die Kinder ist der Spielplatz die Welt“, sagt er, „nicht Deutschland und erst gar nicht Potsdam“.

Rauchfuß unterrichtet am Helmholtz-Gymnasium Geschichte und Politische Bildung. Auch als Schulleiter ist er natürlich ein politisch denkender Mensch. Eine Zeit lang war er Vorsitzender des Gymnasialschulleiterverbandes. Doch dann fraß ihn die Schule zu sehr auf. Brandenburgs Bildungspolitik aber empört ihn. Verheehrend und skandalös sei es, dass das Land jahrzehntelang keine Lehrer eingestellt, sondern nur umgeschichtet hat. An seiner Schule seien von den 55 Lehrkräften gerade mal fünf unter 40 Jahren. Und von ehemaligen Referendaren bekommt er Karten mit Grüßen aus Hamburg. Bitter sei das. „Wir verlieren gute Leute nach Westdeutschland.“

Viel bewirken könne er als Schulleiter aber nicht, meint er. Lediglich durch Gespräche, etwa mit Landtagsfraktionen oder der Stadt. Auch da liebe er im Grunde die leisen Töne. „Man muss bei den anderen auch Einsicht voraussetzen.“ Seine Schulleiterkollegin Carola Gnadt vom Humboldt-Gymnasium beschreibt ihn so: „Ein scharfsinniger, sehr kluger Mensch, der sich rigoros und konsequent für die Belange seiner Schule einsetzt. Er arbeitet akribisch und die Belange des Gymnasiums liegen ihm sehr am Herzen.“

Rauchfuß ist all die 20 Jahre nie aus Westberlin nach Potsdam gezogen. Obwohl er hier mehr Zeit verbringt als in der Hauptstadt. „Zum Schlafen fahre ich nach Berlin“, sagt er. Immerhin haben Pendelei und frühes Aufstehen bald ein Ende.

Und was kommt sonst nach der Schule? Als Vorsitzender der Urania wird er weiterhin regelmäßig in Potsdam sein. „Ich überlege mir mal, ob es nicht irgendetwas Attraktives gibt, was ich in den anderen Tagen machen kann“, sagt er. Vielleicht als Berater. Und dann hält Rauchfuß doch lange inne, bevor er sagt: „Es ist schon eine Zäsur, nicht wahr?“

Die Schüler werden ihm fehlen. Dafür müssten eben in den kommenden Jahren die Enkel herhalten, sagt Rauchfuß.

Grit Weirauch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })