Von Richard Rabensaat: Die kämpferische Philosophin
Am Potsdamer Einstein Forum hat man sich ausführlich mit Margherita von Brentano beschäftigt
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Margherita von Brentano war ein streitbarer Geist. Susan Neiman, die Leiterin des Potsdamer Einstein Forums, und Iris Nachum haben jetzt in einer Collage in zwei Büchern Texte von Brentano zusammengestellt. Damit beleuchten sie lebhaft den kontroversen Geist und die treffsichere Formulierungsgabe der Intellektuellen. Dass sich Brentano nicht aufs Philosophieren beschränkte, illustriert das Buch mit vielen Zeugnissen aus ihrem Leben.
Als Margherita von Brentano 1941 einer älteren Dame beim Aussteigen aus der Straßenbahn hilft, löst das bei einem alten Mann Empörung aus. Die Dame trägt einen gelben Stern, daher sei sie ein Parasit, dem nicht geholfen werden dürfe, pöbelt der Mann. Das sieht Brentano, die in der Tram als Aushilfsschaffnerin eingeteilt ist, anders. Sie lässt es auf die Konfrontation ankommen, stellt sich mutig gegen den Nazi und stoppt den Zug. Als auf der Linie drei Straßenbahnen blockiert sind, schafft sie es dennoch die Ruhe zu bewahren. Der Verweis auf ihre Dienstpflicht und Wagennummer vertreibt den Antisemiten schließlich. Zur Verblüffung der späteren Professorin der Philosophie applaudiert ihr die gesamte Straßenbahn.
Der Mut, der sich schon in dieser kleine Episode zeigt, hat auch die Lehrtätigkeit der Philosophin geprägt. In einem Symposium hatte sich das Einstein Forum Potsdam unlängst mit der Parteilichkeit der Wissenschaft, wie sie Margherita von Brentano vertreten hat, auseinander gesetzt. „Was nützen die Philosophen“, fragt Susan Neiman und versucht die Frage ganz im Sinne Margherita von Brentanos zu beantworten.
Neiman schildert das Schicksal John Browns. Als militanter Gegner der Sklaverei schreckte Brown 1856 im Amerika vor dem Sezessionskrieg nicht davor zurück, Befürworter der Sklaverei zu ermorden. Schon im Prozess vor 160 Jahren stellte sich die Frage, ob Brown nun ein Terrorist oder ein Volksheld sei. „Brown hat vernünftig und prinzipientreu gehandelt, er war nicht verrückt“, betont Neiman. Sie weist darauf hin, dass Brown zunächst lange versucht hätte, mit friedlichen Mitteln für die Abschaffung der Sklaverei zu kämpfen. Mittlerweile wird Brown weitgehend als Volksheld betrachtet. Maßgeblichen Anteil an der gegenwärtigen Wahrnehmung und Bewertung Browns hatten die amerikanischen Philosophen Emerson und Thoreau, die sich während des Prozesses für ihn einsetzten. Da habe sich ein Philosophieverständnis geäußert, das im Sinne Brentanos gewesen sei, erklärt Neiman. „Es muss immer der Gesamtzusammenhang beurteilt werden.“ Sie betont, dass Brentano niemals zum Aktionismus geneigt habe.
Die 1922 geborene Margherita von Brentano war die Tochter eines Berufsdiplomaten und der „Spross einer berühmten Familie hoher Staatsbeamter und Literaten“, wie ihr Kollege Wolfgang Fritz Haug formuliert. Nach einem Studium der Geschichte, Germanistik und Anglistik promovierte sie bei Martin Heidegger. Der schrieb auch Gedichte für die Studentin, die sich einer Bewertung der nationalsozialistischen Vergangenheit ihres Lehrers weitgehend entzog. Nach dem Studium gab Brentano eine deutsch-französische Zeitschrift heraus und wurde beim Südwestfunk leitende Redakteurin für den Schul- und Jugendfunk.
In den 50er Jahren engagierte sie sich gegen die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik. „Sie wurde einer der wichtigsten ,organischen Intellektuellen’ der deutschen Antiatombewegung“, stellt der Philosoph Fritz Haug fest. Obwohl sie deutliche Zuneigung zur Frauen empfand, heiratete sie den Religionswissenschaftler Jacob Taubes, was enge Freude von ihr ziemlich schockierte. 1972 wurde sie Professorin der Philosophie und von 1970 bis 1972 die erste Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin. Hier hielt sie mit ihren Sympathien für sozialistische Theorien nicht hinterm Berg, was ihr auch beruflichen Ärger einbrachte.
Obwohl sie sich an der Universität auch bei der Besetzung von Stellen für die Verbesserung der Position von Frauen lebhaft einsetzte, stand sie dem Feminismus kritisch gegenüber. Sie hielt ihn für eine intellektuell nicht besonders eindrucksvolle Massenbewegung. Sympathischer war es Brentano, einzelne herausragende Frauen zu fördern, was sie auch mit einer von ihr gegründeten Stiftung tat.
„Sie hat öffentlich prägend gewirkt, ohne viel zu veröffentlichen“, bemerkt Haug. Heutigen Philosophiestudenten sei ihr Wirken häufig nicht präsent. Dagegen hilft nun möglicherweise die lebhafte „Collage“. Entgegen der Ansicht Susan Neimans kann auch durchaus gesagt werden, dass Schreiben das Medium der ehemaligen Rundfunkredakteurin war und der Rhetorik Brentanos in nichts nachsteht.
„Das Politische und das Persönliche“, eine Collage, herausgegeben von Iris Nachum und Susan Neiman; Wallstein Verlag Göttingen 2010, ISBN 978-3-8353-0614-1; S. 542
Richard Rabensaat
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