Landeshauptstadt: Die Lehrstellenbörse quillt über
Potsdamer Betriebe bieten so viele Lehrstellen an, wie schon lange nicht mehr – doch es mangelt an geeigneten Bewerbern
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So schnell ändert sich die Problemlage: Im vergangenen Jahr ist das Potsdamer Handwerk noch bemüht gewesen, genügend Lehrstellen bereit zu stellen – in diesem Jahr gibt es immer noch freie Stellen, wie schon seit etlichen Jahren nicht mehr. Das berichtet Christine Menzel, Geschäftsführerin der Potsdamer Kreishandwerkerschaft.
Allein ein Blick in die Internet-Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Potsdam zeigt, wie groß das Angebot an freien Lehrstellen ist. Und nicht nur dort. Auch die Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammer Potsdam quillt förmlich über. Insgesamt wurden gestern auf beiden Internet-Seiten knapp 120 freie Lehrstellen bei Unternehmen oder Handwerksbetrieben der Landeshauptstadt gezählt. Die Palette reicht von Automobilkaufmann bis Zahntechniker. Für Menzel durchaus „eine Entwicklung, die uns Sorgen macht“. In einigen Handwerksberufen gäbe es bereits einen großen Mangel an Auszubildenden, zum Beispiel bei Friseuren, Gebäudereinigern und in der Lebensmittelbranche. Noch sei die Zukunft des Handwerks nicht bedroht und es müsse auch nicht mit Einschränkungen bei den Dienstleistungen für die Bevölkerung gerechnet werden, „aber langfristig kann diese Entwicklung zu einem echten Problem werden“, so Menzel.
Ute Maciejok, Sprecherin der Potsdamer Handwerkskammer, schätzt ein, dass der aktuelle Bundestrend eines großen Überhangs an freien Lehrstellen „auch voll auf Potsdam zutrifft“. Allerdings unterscheide sich die Situation in der Landeshauptstadt von der in anderen Landesteilen. In Potsdam seien die Schulen wenigstens voller, gäbe es vergleichsweise mehr Schulabgänger. Trotzdem wurden in diesem Jahr bislang erst 58 abgeschlossene Lehrverträge gemeldet – im vergangenen Jahr waren es bis zu diesem Zeitpunkt 91. Maciejok nennt drei Ursachen: Wenn auch nicht so drastisch, so ginge die Zahl der Schulabgänger in Potsdam dennoch zurück. Mehr aber noch sei die Qualität der Bewerber Ursache dafür, dass so viele Lehrstellen im Handwerk unbesetzt blieben. Mit der praktischen Arbeit kämen noch die meisten Azubis zurecht, aber bei den theoretischen Kenntnissen gäbe es große Lücken. Möglicherweise sei auch das schlechte Image mancher Handwerksberufe Schuld, dass es offene Lehrstellen gibt.
Wolfgang Spieß, Fachbereichsleiter Aus- und Weiterbildung bei der Industrie- und Handelskammer, betont, in Potsdam sei das Lehrstellenangebot so groß wie noch nie. Es gäbe doppelt so viele Lehrstellen wie im vergangenen Jahr. „Allerdings ist die Ausbildungsfähigkeit bei vielen Schülern so, dass zahlreiche Stellen nicht besetzt werden können.“ Spieß appellierte an alle Unternehmen, ihre Anstrengungen bei der Nachwuchsgewinnung zu erhöhen. Eine Möglichkeit sei die Teilnahme an örtlichen Ausbildungsmessen. Aber auch Besuche in Schulen, Praktika für Schüler oder Besuche von Schulklassen in Unternehmen könnten Schüler an für sie interessante Berufe heran führen.
Bei manchem Handwerker führt die aktuelle Entwicklung inzwischen sogar zu Frusterscheinungen. Der Potsdamer Brunnenbauer Bernhard Dreßler fordert, dass die für das Bildungssystem Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Er habe schon mehrere Bewerber für seine offene Lehrstelle gehabt, „aber ich habe sie alle wieder wegschicken müssen“. Kenntnisse der Mathematik, Rechtschreibung und in den naturwissenschaftlichen Fächern seien bei den Schulabgängern einfach nur schlecht. „Schon bei der Frage: Wie viele Meter haben zweieinhalb Kilometer? kommen die meisten ins Grübeln“, so Dreßler. „Und Lust zum Arbeiten haben die meisten auch nicht.“
Michael Erbach
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