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Landeshauptstadt: Die letzten Tage der „Selbsthilfe“

Seit 1917 bestehender Kleingartenverein am Horstweg soll einem Hotelbau weichen

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Seit 1917 bestehender Kleingartenverein am Horstweg soll einem Hotelbau weichen Für die seit 1917 bestehende Kleingartenanlage „Selbsthilfe“ schlägt die letzte Stunde. Dem Vorstand ist ein Schreiben der Pinneberger Anwaltskanzlei Poppe zugegangen, wonach die durch sie vertretene Erbengemeinschaft auf dem Gelände einen Hotelneubau errichten will. 61 der 89 Parzellen müssen dafür weichen. Die Anwälte forderten Namen und Adressen der betroffenen Pächter an. Dass ihr kleines Idyll bedroht ist, wissen die Kleingärtner um die Vereinsvorsitzende Marion Vogel schon seit Anfang der 90er Jahre. Im Potsdamer „Kleingärtnerkrieg“ setzten sie sich dagegen vehement zur Wehr. Die lange Zaunfront zum Horstweg hing voller Plakate „Unsere Gärten bleiben grün!“ Doch das Gelände wurde nicht als Dauerkleingartenanlage in den Flächennutzungsplan der Stadt aufgenommen. Im Oktober 2003 veröffentlichte das Amtsblatt den Bebauungsplan 99 „Horstweg Ost“, und nun traf der Brief der Anwälte aus Niedersachsen ein. Dazwischen lagen Jahre des Bangens und Hoffens. Dass ihnen die Stadtverwaltung zu keiner Zeit reinen Wein eingeschenkt habe, erbittert die Kleingärtner am meisten. Selbst jetzt noch stießen Anfragen, wann sie denn nun räumen müssen, im Rathaus auf Schweigen. Besonders übel wurde Hans-Peter Kolbe mitgespielt. Der leidenschaftliche Kleingärtner verlor vor vier Jahren seine Parzelle im an den Alteigentümer rückübertragenen „Mühlengrund“ an der Berliner Straße. Als Ausgleich wurde ihm der Garten in der „Selbsthilfe“ mit der Zusicherung angeboten, das Gelände sei sicher. Nun muss er schon wieder runter. Kann man ihm verdenken, wenn Kolbe das „arglistige Täuschung“ nennt? Leer stehende Hotelbetten hat Potsdam zur Genüge, meint er zu den Bebauungsplänen, und leer stehende Wohnungen auch. Anzutreffen ist Hans-Peter Kolbe übrigens gerade auf der Leiter beim Streichen eines Rosenspaliers. „Bei uns lässt auch in der gegenwärtigen Situation niemand seinen Garten verwahrlosen, und niemand flüchtet in eine andere Sparte“, bekräftigen die Vorstandsmitglieder Gudrun Kurtze und Siegfried Neumann. „Wir stehen die Vertreibung als Gemeinschaft durch.“ Einige werden aus Altersgründen aufgeben, aber 45 Pächter fordern ein neues gemeinsames Gartengelände als Ersatz. Ganz in der Nähe sollten sie es erhalten, hatte die Stadtverwaltung ihnen Mitte der 90er Jahre zugesichert. Ein Versprechen, von dem offensichtlich heute keine Rede mehr ist. Schatzmeisterin Kurtze weist darauf hin, dass im Nachbarverein Moosgarten und auch am Babelsberger Mittelbusch wegen angeblich unmittelbar bevorstehender Erschließung als Gewerbegebiet Hunderte Gärten geräumt wurden. Noch nach Jahren liegen diese Flächen brach und haben sich inzwischen in übel riechende und das Grundwasser verunreinigende wilde Müllkippen verwandelt. Am Mühlengrund sieht es nicht viel anders aus. „Das wird bei uns nicht passieren“, meint sie. „Ehe nicht ein Investor benannt ist und der Baubeginn feststeht, werden wir uns der Räumung widersetzen, notfalls vor Gericht.“ Mit Schriftführer Siegfried Neumann ist sich die Schatzmeisterin allerdings einig, dass gegen den Stadtverordnetenbeschluss zur Bebauung kaum anzukommen ist. Das tolle Sommerfest zum 80-jährigen Bestehen, das 1997 begangen wurde, wird also wohl die letzte Jubiläumsfeier am alten Ort gewesen sein. Bitter hieß es auf einem der Protestplakate: „Im Ersten Weltkrieg gegründet, den Zweiten Weltkrieg überlebt, eine freie Demokratie soll unser Ende sein.“

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