Landeshauptstadt: Die Leute reagieren nicht mehr
Mit einem Stand informierten Vereine gestern im Wohngebiet Am Schlaatz über häusliche Gewalt
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Mit einem Stand informierten Vereine gestern im Wohngebiet Am Schlaatz über häusliche Gewalt Der Mann sitzt vor der Minimal-Kaufhalle am Schilfhof im Schlaatz und trinkt einen kräftigen Schluck Bier. Dann stellt er die Flasche „Original Oettinger Export“ auf die Gehwegplatte. Er geht hinüber zu dem Informationsstand mit den roten Plakaten. Darauf sprechen sich Prominente mit ihrem Konterfei und einem Satz gegen häusliche Gewalt aus. „Wer schlägt ist dumm. Wer Frauen schlägt, ist sehr dumm.“ Peter Sodann. „Gewalt gegen Frauen verletzt uns alle.“ Matthias Platzeck. Der Mann lehnt sich gegen den Stand. Die Tische ächzen. Er greift sich einen Kugelschreiber. Er wartet. Mit stockenden Schritten geht er jetzt zur Bank zurück und besieht sich seine Beute. „Weisser Ring“ steht auf dem Kugelschreiber. Er steckt ihn in die Bomberjacke und trinkt einen weiteren Schluck aus der Flasche. „Häusliche Gewalt?“, sagt er, „haben wa nich. Ich hab “ne liebe Frau und die ist gerade einkaufen“. Er deutet hinter sich und trinkt dann wieder. „ALG II“, meint er und „es ist nicht einfach heutzuzeit.“ Wenn man den ganzen Tag zu Hause ist, was soll man da machen, da trinkt man eben Bier. Seine Frau kommt aus der Kaufhalle und sagt, dass sie keine Zeit habe zum Rumsitzen. Sie geht los und er trottet hinter her. Die Flasche bleibt neben der Bank stehen. Leer. Der gemeinsame Informationsstand des Vereins Opferhilfe, des Autonomen Frauenzentrums Potsdam und des Opferhilfevereins „Weisser Ring“ wurde nur zufällig das erste Mal im Wohngebiet Am Schlaatz aufgebaut, erklärt die Potsdamer Gleichstellungsbeauftragte Sabina Scheuerer. Häusliche Gewalt gebe es in allen Schichten und Wohngebieten. Im nächsten Monat werde im Havel-Nuthe-Center in Drewitz, im November im Rathaus und im Dezember in der Brandenburger Straße über das sensible Thema informiert. Sie hofft, dass vielleicht eine Betroffene vorbei kommt und sich eines von den Faltblättern nimmt, die Informationen über Hilfsmöglichkeiten und Anlaufstellen enthalten. Oder eine Nachbarin, die Bescheid gibt darüber, dass wer Hilfe sucht, sie auch findet. Ein Mann kommt mit einer Einkaufstüte. Er ist aufgeschlossen dem Thema gegenüber. Als Invalidenrentner sei er immer zu Hause, aber nein, von häuslicher Gewalt habe er noch nie etwas mitbekommen. Nicht im Schlaatz. Aber, „blöd gefragt“, das mit der häuslichen Gewalt „hat doch auch gesellschaftliche Ursachen?“ Polizeikommissar Marco Holz erklärt, der Schlaatz habe eine besondere soziale Struktur. Es gibt eine hohe Ausländer- und auch Arbeitslosenquote. Der Alkoholkonsum im Schlaatz ist recht hoch, „das führt oft zu Gewaltausbrüchen“, sagt der Revierpolizist. Mit seinen 28 Jahren ist er nicht älter als die Mehrzahl der Bewohner am Schlaatz. Obwohl erst ab Juni hier, habe er bereits einige Fälle mitbekommen, darunter eine Kindesmisshandlung. Problemverstärkend, so Holz, ist die Anonymität. Die Leute reagierten nicht mehr auf Anzeichen von Gewalt in der Nachbarschaft. Sie wollten ihre Ruhe haben. Auch würden sich die Mieter häufig gar nicht mehr kennen. „Das Aufpassen auf einander fehlt“, beklagt er. Seit das neue Gewaltschutzgesetz gelte, kommen Tätlichkeiten im Haushalt häufiger zur Anzeige, erklärt Sabina Scheuerer. Polizisten haben das Recht, Gewalttäter sofort der Wohnung zu verweisen „und das wird auch praktiziert“, ergänzt Polizeikommissar Holz. Wer schlägt, geht. Der Täter unterschreibt eine schriftliche Belehrung und bekommt den Hinweis, er solle Geld für ein Hotel mitnehmen. Falls notwendig, erfährt er die Adresse des Obdachlosenheimes. Auf Wunsch rufen ihm die Polizisten ein Taxi. Die Wohnungsschlüssel werden ihm abgenommen. Falls die geschlagene Frau den Mann nicht vor die Tür setzen, sondern selber gehen will, stehen ihr die Türen des Frauenhauses offen. Behörden, die Polizei, aber auch nahezu jeder Taxifahrer kenne die Adresse, sagt Friederike Geißler. Der Ort des Frauenhauses werde nicht bekannt gegeben, dort seien Frauen, die eine Gewaltbeziehung verlassen, sicher. Die 17 Plätze für Frauen und Kinder sind „gut ausgelastet“, so die Frauenhaus-Mitarbeiterin. Jede Frau könne so lange bleiben wie sie möchte. Falls sie sich nicht sicher fühle, sei eine Vermittlung in andere Häuser in entfernteren Orten möglich. Auch Männer können von Frauen geschlagen und somit Opfer von häuslicher Gewalt werden. Rosmarie Priet vom Verein Opferhilfe erklärt, dass diese Fälle häufig unerkannt bleiben, weil die Männer sie nicht anzeigen. Rosmarie Priet: „Die Schamgrenze ist enorm hoch, weil es nicht zum männlichen Rollenbild passt.“
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